14
Mrz
2011

End of Days

Es ist schwierig, in diesen Tagen am Blog zu schreiben. Die Katastrophen in Japan werfen einen Schatten auf meine Seele. Ein Freund twitterte gestern, die Angst vor dem Super-GAU in Japan erinnere ihn an die 80er Jahre, und ich stimme ihm zu. In der Erinnerung vermischt sich die Angst vor einem Atomkrieg mit der Tschernobyl-Tragödie. Nun sind wir wieder am gleichen Punkt. Bislang ist die Menschheit am Atomkrieg zwar vorbeigekommen, dafür drohen jetzt mehr als 40 Millionen Menschen gesundheitliche Schäden durch diese unbeherrschbare Technologie.

Der Film "When the wind blows" hat mir vor knapp 25 Jahren verdeutlicht, wie hilflos der Mensch radioaktiver Strahlung gegenübersteht. Regierungen, die widersprüchliche Informationen geben und zweifelhafte Maßnahmen ergreifen - eigentlich hatte man gehofft, dieses Kapitel gehöre der Vergangenheit an. Private Betreiberfirmen, die sich weder an Regeln halten noch einen Überblick über die Lage zu haben scheinen. Wie viele solche Katastrophen muss es eigentlich noch geben, bevor die Menschheit aus Erfahrungen auch Weisheit zieht? Wie lange wird es noch geduldet, dass sich kritische und gefährliche Infrastruktur in den Händen profitorientierter Unternehmen befindet - denen der Gewinn im Zweifelsfall vor Sicherheit geht?

Es fällt mir schwer, in diesen Zeiten nicht zynisch zu werden. Allein die Sorge um und das Mitleid mit den Betroffenen und ihren Familien in Japan ist momentan stärker als das Verzweifeln an der menschlichen wie politischen Lernunfähigkeit. Denn Atomkraft ist kein deutsches Problem, sie ist eine globale Gefahr. Wenn die Regierungen ihre Bevölkerung in den Mittelpunkt ihres Handelns stellten, und nicht die Entwicklungen an obskuren Finanzmärkten, dann wäre mit diesem Spuk jetzt endlich Schluss. Ich befürchte, nach einiger Aufgeregtheit wird die Katastrophe wieder aus den Köpfen verschwinden. Zeit, dass neben der Atomangst etwas anderes wiederkehrt: Der Endzeitfilm. Den gab es sogar noch Ende der 90er. Auch schon vergessen. Aber treffender kann man die Bilder aus Japan nicht zusammenfassen: "End of Days".

16
Feb
2011

Jester's Door: Bierkrieg(2)

Es war am frühen Abend des nächsten Tages, als ich die Cocktailbar betrat. Die Einrichtung war edel, aber völlig geschmacklos. Einer jener Plätze, an denen sich die Schickeria mittelgroßer Städte traf. Kohle hatte noch nie Geschmack ersetzen können. Naja, ich seufzte und setzte mich an die Bar. Meinem Auftrag entsprechend bestellte ich mir einen Kaffee und blickte mich um. Unter neonfarbenen Leuchten saßen jungdynamische Männer, die noch in ihre Anzüge reinwachsen mussten. Meistens wurden sie von viel zu stark geschminkten Karrierefrauen begleitet, die bemüht tough vor pastellfarbenen Wänden posierten. Die Typen hingegen verkrampften beim lässig wirken. Der Jester war nicht zu sehen, dafür hingen verstreut die üblichen Poster von Hollywoodfilmen, James Dean, natürlich Humphrey Bogart. Mir fiel dabei auf, dass ich gar nicht auf den Namen der Bar geachtet hatte. Vermutlich "Rick's Café", maximal "Blue Parrot", aber nur wenn der Besitzer etwas mehr Fantasie hatte als die Einrichtung. Ich schaute auf die Karte. Es war "Rick's Café".

Ich bestellte einen zweiten Kaffee, wobei sich das scheußliche braune Gebräu kaum so nennen dürfte, zudem war es überteuert. Ich hatte fasziniert beobachtet, wie das schöne Kaffeepulver durch einen dieser Hyper-Kaffeeautomaten mit Vorwaschgang und Seifenschaummodus gejagt wurde. Der gegelte Barkeeper stellte sich dabei so tölpelhaft an, dass der Landevorgang eines Albatros' dagegen wie eine perfekte Eiskunstlaufkür angemutet hätte. Ich wurde unruhig, der Jester war immer noch nicht da und der Laden war wirklich nicht zum Aushalten. Eine extrem aufgetakelte Frau - um es neutral auszudrücken - hatte sich zu mir an die Bar gesetzt und fragte mich ernsthaft, ob ich ihr nicht einen "White Russian" ausgeben wolle, den wollte sie schon immer mal probieren. "Nein". Ich schob dann der Höflichkeit halber noch nach, dass der hier sowieso mit Sahne gemixt werde, was total gegen meine Prinzipien verstoße, aber der Schaden war schon angerichtet. Was ich eigentlich auch wollte, nach einem kurzen verbalen Rückzugsgefecht war ich dann auch wieder allein und konnte mich ganz meinem Auftrag widmen.

Da trat er auch schon ein, mit hochrotem Kopf, und ließ sich an einem der Tische im Eingangsbereich nieder. Einer der gegelten Kellner brachte ihm ein Bier, während ich der Einsatzzentrale eine SMS schickte. Ich wartete noch etwas, investierte in einen Whiskey Sour - ich frage mich bis heute, ob ich mit dem Drink gleich Anteile an dem Laden erworben habe - und ging zum Tisch des Jesters. "Nanu, Du hier? Wußte gar nicht dass Du", ich lauschte der Musik, "Fan von Easy Listening Pianisten bist." Der Jester verzog das Gesicht: "Naja, das nun nich gerade. Aber das Bier ist gut." Ich grinste: "Hmm, wie ich sehe, ist es vor allem billig, was man von meinem Cocktail nicht gerade sagen kann. Aber so was bekommt man im Jester's Door ja nicht. - Darf ich mich setzen?" Er nickte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich der Rest der Eingeweihten mit einem Ghettoblaster an der nächsten Ecke aufbauten. Die Musik war in dieser Phase besonders unerträglich geworden, es lief "Girl from Ipanema" in einer gruseligen Reggae-Jazzpiano-Variante. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, der Whiskey konnte nicht schnell genug wirken, um das Leiden zu lindern. Auch der Jester schüttelte den Kopf, sein Gesichtsausdruck zeugte von körperlichen Schmerzen.

In diesem Augenblick betrat der Bassist der BAND die Bar. Er wirkte in dieser Umgebung mit seinen langen Haaren, den aufgeschlissenen Klamotten und der bemalten Jacke ungefähr so deplatziert wird ein Wal im Weltall. Der Jester schaute ihn überrascht an, murmelte was von "hier ist ja was los heute", während der Sir John, wie er genannt wurde, auf ihn einredete und die Rückgabe von 30 Musikalben sowie diversen Büchern verlangte, die der Jester von ihm geliehen hatte. Der war nämlich dafür bekannt, ein notorischer "Borger" zu sein. Etwas genervt trank der Jester aus, um die gewünschten Sachen aus seiner Wohnung zu holen, wenn er sie denn überhaupt finden konnte. Ich leerte mein Glas, und begleitete die beiden hinaus. Kaum waren wir auf der Straße, da hörte ich schon die Musik. Die ersten Takte von "Script for a Jester's Tear" waren zu hören, und wie geplant ging unsere Zielperson der Sache schnurstracks nach. Ich grinste, an der nächsten Ecke wartete eine Abordnung von 20 Stammgästen auf ihn. Einige Punks, der Stammtisch der Anglistikstudentinnen, die BAND, Mitglieder des "Sozialistischen Redezirkels Nord". Selbst die beiden greisen Schachspieler waren mitsamt zweier Hocker, eines Klapptisches und ihres Schachbretts waren vor Ort und saßen regungslos am Rande der Menge.

Der Jester stand überwältigt vor dieser absurden Truppe und flüsterte den Text des Liedes. Einige Tränen liefen ihm die Wangen herunter, während ihn Ralf, einer der ehemaligen Studienräte in den Arm nahm und sagte: "So, reicht das? Kommst mit?". Der Jester nickte nur betreten, und ein Grummeln ging durch die Menge. Statt laut ausbrechender Freude wurde der Jester nun mit Vorwürfen überzogen. "Wat fällt Dir denn ein", "Ne Stunde in der Kälte rumsteh'n wegen diesem Narren" oder "so billig kann dat Bier doch gar nich sein!". Das Lied war vorbei, wir machten uns auf den Weg. Der Jester wurde die ganze Zeit über einer Art Inquisition ausgesetzt, musste genau erklären, wieso er in so einen Laden gelangen konnte. Genau zu verstehen waren seine Erklärungen nicht, er murmelte etwas wie "Studien in Kommerzialisierung" oder "durch den Kapitalismus verführt worden" etc. Ich hörte nicht weiter zu, stellte nur irgendwann fest, dass die beiden Schachspieler nicht mitgekommen waren, jedenfalls waren sie nicht mehr dabei, als sie ihr Ziel erreichten.

So betraten wir das Jester's Door. Alles wirkte wieder normal, der Timemaster stellte gerade die Wanduhr auf die richtige Zeit ein und der Jester ging zu seinem Stammplatz an der Theke. Die beiden weißhaarigen Schachspieler saßen da wie immer... - Moment! Wie hatten sie vor uns da sein können? Ich rieb mir die Augen, der Bassist der Band klopfte mir auf die Schulter, gab mir ein Bier und murmelte "Denk nicht drüber nach. Ich versteh es och nich' ". So ging ich selbst rüber zu Jens, der dem Jester gerade ein Bier mit den Worten reichte: "Dat machst' nich nochmal. Wir schließen Dich sonst vom sozialistischen Redezirkel aus!" Diese Ermahnung hatte tatsächlich Einfluss auf den Jester, der verschämt an seinem Bier nippte. Die BAND begann also zu spielen, als einer der Kellner aus der Cocktaibar rein kam, sich umsah, schnurstracks auf den Jester zuging und ihm einen weiteren Discount auf seine Getränke anbot. Sofort umklammerten der Timemaster und Jens den Jester, redeten auf ihn, während die Punks sich das gegelte Jüngelchen schnappten und ihn im hohen Bogen auf die Straße warfen. Die BAND störte der Vorfall nicht weiter, mit stoischer Ruhe begann sie ihren Auftritt und ließ "Script for a Jester's Tear" ertönen. Der Obernarr im Raum stellte sich mal wieder auf die Theke, und der Stammtisch der Anglistikstudentinnen begann eine Diskussion über die Funktion des Narren bei Shakespeare. Ich grinste, trank mein Bier und dachte nur: "Wie schön".

13
Feb
2011

Über den Tellerrand: Wie Deutschland die Europäer verarmen lässt

Mein neuer Blogeintrag, zuerst erschienen auf freitag.de: http://t.co/fXZuwli
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In den letzten Monaten sind die Themen Mindestlohn, Hart-IV-Reform, Finanz- bzw. Eurokrise immer wieder in den Schlagzeilen aufgetaucht. Gemeinsam mit der Arbeitsmarktsituation stellen diese Themen eine gemeinsame Gemengelage dar, die in der medialen Hysterie und nationaler Berliner Nabelschau oft übersehen wird. So hat die Bundesregierung im letzten Jahr auf europäischer Ebene komplett versagt. Dies ist kein Zufall, sondert Resultat ideologischer Scheuklappen und eines durch Industrielobbyisten gesteuerten Politikverständnisses. Dem liegt die Auffassung zu Grunde, dass die gegenwärtige Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt allein auf die politischen und strukturellen Maßnahmen seit den Hartz-Reformen sowie den zurückhaltenden Tarifabschlüssen seit der Wiedervereinigung zurückzuführen sei. Folglich wird die schlechte finanzielle Situation anderer EU-Mitgliedstaaten auf deren Haushaltspolitik geschoben und zum allein selig machenden Weg aus der Eurokrise erklärt (siehe: www.freitag.de/politik/1106-perversion-einer-idee). Darüber hinaus wird in Irland auf Druck der Geber nun sogar der Mindestlohn eingestampft.

Nicht nur steht Deutschland bei der Entwicklung der Reallöhne seit Jahren als Schlusslicht in der EU dar, es ist sogar das einzige Land mit einer negativen Lohnentwicklung ( www.eu-info.de/deutsche-europapolitik/umfragen-statistiken-deutschland/reallohn/ ). Dies ist auf die Folgen der Hartz-IV Reformen zurückzuführen wie auf das Fehlen eines flächendeckenden Mindestlohns. Die Produktivität wird also weiter gesteigert, während der Export in den Euroraum aufgrund der günstigen Produktionskosten weiter zunimmt. Selbst Kommentatoren in der Financial Times Deutschland sehen diese Entwicklung als Problem für die Eurozone (www.ftd.de/politik/deutschland/:kolumne-muenchau-hartz-iv-vergiftet-europa/50178924.html). In der Analyse kommt man also zu dem Schluss, dass Deutschland dringend Lohnsteigerungen durch einen flächendeckenden Mindestlohn durchsetzen muss und erhebliche Änderungen am Hartz-IV-System anstehen - will man denn weiter Käufer für deutsche Produkte im In- wie im EU-Ausland finden. Im Moment werden in Deutschland staatlich subventionierte Billigarbeitsplätze geschaffen, die zur Verlagerung von Betrieben nach Deutschland einladen. So haben sich bereits eine Reihe dänischer Betriebe in Deutschland angesiedelt, weil niedrig qualifizierte Arbeitskräfte hier kostengünstiger sind(bereits seit 2005 Thema: www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,338621,00.html).

Diese "deutschen Verhältnisse" sorgen also auf Dauer dafür, dass in den europäischen Nachbarstaaten die Löhne ebenfalls gesenkt werden müssten, wenn mit deutschen "Dumpingimporten" mitgehalten werden soll. Skandalös daran ist vor allem die Tatsache, dass in Deutschland Arbeitsplätze entstehen, von denen die Menschen nicht leben können. Statt aber eine wirkliche europäische Wirtschaftsregierung anzustreben und die tarifpolitische wie lohnpolitische Schieflage zu beseitigen, zieht es die Bundesregierung vor, die anderen Euroländer unter Druck zu setzen und jeglichen europapolitischen Kredit durch unabgestimmte Pakterklärungen zu verspielen. Lange war die Stimmung gegenüber einer deutschen Regierung in Europa nicht mehr so schlecht - wenn überhaupt je. Wenn sich daran etwas ändern soll, im Sinne Europas und der Menschen in Deutschland, muss sich die Bundesregierung von ihrer Politik der Durchsetzung von Lobbyinteressen verabschieden. Das wird sie nicht tun. Es wäre zu vernünftig.

3
Feb
2011

Gefeiert. Geliebt. Betrogen.

Eine neue Kurzgeschichte, inspiriert von Heinz Rudolf Kunzes "Akrobat". Viel Spaß!
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Die Bühne. Wieder stand er dort oben, allein, hunderte Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Diese Momente, in denen einem niemand helfen konnte, in denen er entweder über sich hinauswuchs oder versagte. Er wußte genau, dass es genug in der Masse gab, die auf seinen Fehler hofften, obwohl sie ihn anschließend stets lächelnd beglückwünschten. Jetzt lauerten sie. Dort unten, wo er sie nicht sehen konnte. Das Scheinwerferlicht blendete ihn, er schwitzte, aber langsam kam die Aufführung in Gang. Meistens ging es dann wie von selbst, auch wenn er vor den Auftritten nie recht wußte, woher er die Kraft nehmen sollte. Nie fühlte er sich so einsam wie in diesen Augenblicken auf der Bühne. Ja, wenn er mittendrin war in der Darbietung konnte es großartig sein, er verausgabte sich, seine Gefühle stiegen auf, Adrenalin und Kreativität pulsierten in seinen Adern. Er berauschte sich an seinem Auftritt.

Szenenapplaus, den er nur am Rande wahrnahm. Konzentration. Kurzes Zögern, nur Sekundenbruchteile in seinem Hirn. Kurze Panikattacken, bis der Faden wieder da war. Dann wieder die gelungenen Sequenzen, wenn er selbst eins war mit der Welt. So verging jeder Abend wie im Flug und laugte ihn doch so aus, dass das reine Stehen zu einer unmenschliche Anstrengung wurde. Wenn einmal der Vorhang fiel, fühlte er sich völlig leer, würde am liebsten auf den Boden sinken. Erschöpft schleppte er sich in die Garderobe. Die Ruhe war seine Rettung, die Oase in der Wüste der Begehrlichkeiten. Nur endlich vor dem Spiegel sitzen, die Maske abnehmen können. Nicht die Show zehrte ihn aus, sondern die Erwartungen, die Beteuerungen, die Verachtung von Kritikern und falschen Freunden.

So stand er vor dem Spiegel, schaute in sein müdes, ausgezehrtes Gesicht. Wieder hatte er mehr gegeben als er körperlich zu leisten vermochte. "Die Show geht viel weiter, als der Kunde begreift". Wahre Worte, die ihn begleiteten, sein ganzes Leben lang. Die Konzentration, die Anstrengung, das Rampenlicht. Am Ende seines Auftritts war es imer das Gleiche: Nur der Beifall gab ihm genügend Kraft, nicht direkt auf der Bühne zusammenzubrechen. Diese totale Leere, hier, in der kleinen Garderobe. Am liebsten würde er sich in solchen Momenten hinlegen und eine Woche nicht mehr aufstehen. Doch da waren die Leute, draußen, warteten auf ihn. Das Publikum, das den Star sehen wollte. Ja, er lebte von ihnen. Aber warum fraßen sie ihn auf? Wollten ihn mit Haut und Haaren verschlingen. "Ein müder Vampir...", ja das war er, und die Blitzlichter der Fotoapparate würde ihn gleich zu Asche zerfallen lassen. Er stand auf, setzte ein Lächeln auf, öffnete die Tür. Der nächste Auftritt, jetzt keine Kunst, nur noch künstlich.

28
Jan
2011

Jester's Door: Bierkrieg(1)

Diese Jester's Door Episode basiert auf dem vor langer Zeit geschriebenen ersten Fragment der Jester's Door Reihe. Quasi eine Überarbeitung des "Ur-Jester". Viel Spaß!
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Ich war einige Tage nicht im Jester's Door gewesen und hatte das komische Gefühl, etwas verpasst zu haben. So machte ich mich also auf den Weg zu dieser Heimat obskurer Verhaltensweisen und unangepasster Lebensstile. Es war später nachmittag, die Sonne stand schon tief, als ich in die "Ferdinand Lasalle Straße" einbog, wo sich das Jester's Door befand. Meine Vorahnung schien sich zu bewahrheiten, denn vor der Kneipe stand eine Gruppe wild gestikulierender Menschen. Während ich näher kam, sah ich immer wieder Leute dazu kommen, die meist nur kurz mit dem Kopf schüttelten, um dann einzutreten.

Ich erreichte die Menschentraube und sprach einen der Punker an, der am Rand stand und rauchte. Er begrüßte mich überraschend nüchtern und murmelte "Diese Type, also der Jester, der is seit 5 Tagen nich' aufgetaucht. Naja, alle ziemlich nervös deshalb." Der Jester? Verschwunden? Was wäre diese Kneipe ohne ihn? Sofort wurde mir klar, warum alle so nervös waren. Nicht nur die allabendlichen Rituale standen in Frage, die Existenz der Kneipe stand auf dem Spiel - kamen doch viele der Stammgäste nur, um den Jester singend auf dem Tresen zu bewundern!

Ich trat ein und musste mir erstmal die Augen reiben: Der Hauptraum der Kneipe sah aus wie das Lagezentrum einer polizeilichen Sondereinheit. Die Bühne war von einer überdimensionalen Karte des Stadtgebiets verdeckt, auf der in wilden Mustern farbige Stecknadeln leuchteten. Auf dem großen Tisch standen mehrere Thermoskannen und Unmengen an Kaffeebechern, benutzte wie unbenutzte, an den kleineren Tischen saßen wild auf die Tastaturen ihrer Laptops einhämmernde Menschen und im Raum verteilt diskutierten Gruppen von Stammgästen aufgeregt miteinander. Nur die beiden älteren Schachspieler saßen wie immer unbeweglich und scheinbar hochkonzentriert vor ihrem Brett und ließen ihre Bärte wachsen.

Schließlich erblickte ich Jens, der niedergeschlagen am Tresen saß und mit dem Timemaster sprach. Ich nickte ihm zu, schnappte mir einen Kaffee und ging zu ihnen rüber. "Hab' schon gehört, der Jester ist verschwunden? Aber wozu is denn das ganze Zeuch da?" Jens schüttelte mit dem Kopf: "Dat weiß ich auch nich so genau. Paul, einer von den Punks, is mal bei der Polizei gewesen. Der meint, dat macht man so." Der Timemaster ergänzte: "So richtig weiß ich auch nicht, wie wir den Kerl finden sollen. Der ist immerhin seit 5 Tagen und ..." - der Timemaster sah auf seine Armbanduhr, drehte sich um und stellte die kaputte Wanduhr hinter ihm auf die aktuell korrekte Zeit ein - "11 Stunden nicht mehr hier gewesen. Aber der kann ja überall sein." Ich fand heraus, dass die augenblickliche Arbeitshypothese darin bestand, dass der Jester nicht ohne Bier auskommen würde und daher jetzt alle Kneipen abgesucht würden. So kam etwa alle 5 Minuten ein weiterer Späher zurück, schüttelte den Kopf, nahm sich einen Kaffee und erhielt neue Instruktionen. Leider war schon eine Reihe von Kneipen doppelt und dreifach abgesucht worden, da niemand so genau wußte, welche Nadelfarbe nun für eine bereits besuchte Kneipe stand und welche noch auszuspähende Etablissements symbolisierten. So gingen die meisten am liebsten in die umliegenden Bars, und besuchten sie ein zweites und drittes Mal.

Als ich gerade einer Punkerin über die Schulter blickte, die den Jester per Laptop, Google und Verschwörungstheorien aufzuspüren versuchte, gab es vor dem Jester's ein großes Gemurmel. Einer der Kneipenspäher kam hereingelaufen - also eher keuchend hereingeschlurft - und winselte was von "gefunden". Nachdem er endlich Luft geholt hatte, berichtete er, dass er den Jester endlich gesehen und gesprochen habe. Er sei seit Tagen in einer der Schickeria-Cocktailbars im Stadtzentrum zu finden. Dies führte zu allgemeinem Stirnrunzeln. Hatte er sich jetzt doch verkauft? Doch schnell wurde klar, dass der Jester vor allem wegen der günstigen Bierpreise die Kneipe gewechselt hatte: Offenbar wurde Gerstensaft dort besonders günstig angeboten, um die Leute zum Betreten ihrer exquisiten Cocktailbar zu verführen.

Nun waren die Bierpreise im Jester's Door wirklich nicht hoch, aber gegen Dumpingangebote konnte ein sozialistisch geführter Laden nun nicht ankommen. Das wollten der Timemaster und Jens auch nicht, denn sie wollten durch ihr Geschäftsgebaren keine Arbeiterausbeutung befördern - gleich ob bei Kaffeebauern in der dritten Welt oder in deutschen bzw. internationalen Brauereien. Dennoch wurde schnell klar, dass man den Jester wieder zurückholen musste, ihn vor seinem Verderben und dieser teuflischen "Bar" bewahren musste. Ein kleinerer Kreis um die beiden Kneipiers herum setzte sich an den Kaffeetisch und beriet das weitere Vorgehen. Um 2 Uhr nachts war ein Schlachtplan fertig, abstrus, sozialistisch, so wirr, er musste einfach klappen...

Fortsetzung folgt.

Fernsehtrash

Eine uralte Glosse, geschrieben lange vor dem Dschungelcamp und anderen merkwürdigen Erscheinungen der heutigen Medienwelt - aber der Trend war damals schon deutlich. Also, viel Spaß beim Lesen und das Schmunzeln nicht vergessen! Bierernst wird es erst wieder bei der nächsten Ausgabe des Jester's...

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„Das einzig Gute an den 90ern ist, das sie bald vorbei sind. Genauso wie das gesamte beschissene 2.Jahrtausend.“ Dies waren die Worte meines Freundes, der sich gerade wieder durch das Fernsehprogramm gezappt hatte und nun feststellen mußte, daß sein Kulturpessimismus auf grauenhafte Art und Weise bestätigt wurde. Gewöhnlicherweise pflege ich nicht, mich solchen apokalyptischen Endzeitanalysen anzuschließen - doch die Flut des kulturellen Mülls, der dort zwischen den Werbeblöcken hindurch aus der Flimmerkiste schwappte, bereitete mir Folterqualen und machte die Zurückweisung der Thesen meines Kumpels unmöglich.

Nachdem wir dann zwei Stunden später - vom Wein etwas aus dem Gleichgewicht gebracht - Dialoge aus „Star Wars“ rezitierten, war es schon wieder vorbei mit der kulturellen Herrlichkeit unserer Unterhaltung; und dabei hatten wir heute mit Schiller begonnen, waren dann über Oscar Wilde bei den englischsprachigen Modernisten gelandet, verweilten ein wenig bei T.S. Elliot, gingen dann über zu einer kurzen Diskussion der Bedeutung der Philosophie des 20.Jahrhundert im Hinblick auf die Wahrnehmung der ökologischen Katastrophe und spielten schließlich ein wenig Blechtrommel mit den Ansichten eines Clowns! Aber nein, nun diskutierten wir über die Heilsbotschaft eines Luke Skywalkers und eines Obi-Wan-Kenobis. Und dann klingelte das Telefon. Ich schleppte mich zum Apparat und nahm ab:

„Festmann.“
„Eye, Du verkackter Intellektueller, wenn Du noch einmal aus Star Wars zitierst, dann werd’ ich Dir so die Fresse polieren, daß Du denkst, Du hättest die Macht wirklich mal zu spüren bekommen, klar man?“
Ich antwortete der merkwürdig abgewetzten Stimme am anderen Ende der Leitung:„Klar, find’ ich voll gut, aber wo hast Du das Mikro in meiner Wohnung versteckt?“
„Tja, man, das Mikro ist doch in jedem Fernseher standardmäßig eingebaut. Und wir von der Behörde für die Reinhaltung von Kulturmüll vor dem Einfluß intellektueller Kräfte haben darauf direkten Zugriff. Also man, merk’ Dir für die Zukunft eines, Du Pseudointelligenzbestie: Entweder Schiller oder Trash - beides gibt es nicht, klar?!“
Ich antwortete blitzschnell: „Ok, dann nehme ich doch lieber Trash.“
„Also gut. Aber wehe ich höre Dich noch mal so pseudointellektuell daherquatschen, dann gibt es richtig ärger, wir können schlimmer sein als die GEZ, kapiert? Und noch eins: Immer dran denken: Wir hören alles, HAHA.“

Mit einem ekelhaften Lachen hatte der Bedienstete dieser ominösen Behörde das Gespräch beendet. Ich ging zu meinem Freund zurück und erzählte ihm von diesem äußerst sonderbaren Gespräch. Nun hatte ich ja mit einem spontanen Gefühlsausbruch meines Freundes gerechnet, mit Anspielungen auf Orwell und das magische Jahr 1984, auf eine schöne und vor allem neue Welt der gezielten intellektuellen Vermüllung der Bevölkerung, mit großen Ansprachen an die Widerstandsregungen der Gesellschaft gegen diese dreiste staatliche Bevormundung, mit Monologen, die den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes rauf und runter zitieren würden - doch nichts von alledem. Mein Kumpel sagte nur: „Na gut, Du Idiot, wegen Dir können wir also nur noch über Trash reden - nie wieder Schiller. Was ist Dir da eigentlich eingefallen?“
„Nun“, antwortete ich, „ich hasse nichts mehr als immer dasselbe lesen oder sehen zu müssen. Vernünftige Kultur wird leider nicht mehr produziert, dafür aber umso mehr Trash. Und nebenbei laß’ Dir eins gesagt sein: ‘Wer ist der größere Tor? Der Tor, oder der Tor der ihm folgt?’ “

25
Jan
2011

Trennlinien

In dieser Rubrik nun einige ältere Kurzgeschichten, die ich nun -endlich- überarbeitet einstelle.
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Kurt stand vor der türkischen Teestube und betrachtete die Plakate im Schaufenster. Wie schlecht man doch seine Umgebung kennt, dachte er bei sich. Da war von Veranstaltungen die Rede, von denen er noch nie gehört hatte, und von Orten, die er noch nie besucht hatte. Dabei fanden sie ganz in der Nähe statt, ja teilweise in der nächsten Straße. Auch in der Teestube war er nie gewesen, dabei war sie nur zwei Häuser von seiner Wohnung entfernt. Oft hatte er schon vor diesem Schaufenster gestanden, doch nie hatte er sich getraut, hineinzugehen. Irgendetwas hielt ihn zurück. Dabei würde er jetzt gerne etwas Warmes trinken. Einen Kaffee vielleicht, wenn es den neben dem Tee auch gab. Mit Tee konnte Kurt nämlich nichts anfangen.

Irgendwie, fand er, war das schon eine komische Situation, denn wahrscheinlich lebten die meisten türkischen Bewohner seines Stadtteils länger hier als er, der erst vor einem Jahr in diese Stadt gezogen war. Er als Fremder traute sich nicht, mit den anderen Fremden zu reden. Fremde leben voneinander getrennt, Einheimische leben von allen Fremden getrennt – und wer lebte zusammen?

Er stand da, las und fror. Kalt war es geworden, doch er wollte nicht allein zu Hause sitzen. Reden wollte er, und nur zu gerne würde er die Geschichten der Menschen hören, wo sie herkamen, wen sie in der Heimat zurückliessen und was sie hier in Deutschland hielt. Doch er konnte sich nicht überwinden, seine Beine wollten sich nicht bewegen. Wie angewurzelt stand er da. Dann öffnete sich die Tür. Der Wirt kam heraus und sah ihn an. „Ist alles in Ordnung? Sie sehen ja so durchgefroren aus. Wollen sie nicht hereinkommen und einen heißen Tee trinken?“ Kurt überlegte kurz um dann zu antworten: “Gerne. Aber haben Sie vielleicht auch Kaffee?“ Der Wirt lächelte und winkte ihn herein.

20
Jan
2011

Initiative "Zukunft jetzt"

Wenn ich nachts in Richtung Brüssel nach Hause fahre, höre ich meist Nachrichten. Irgendwann wird mir dann so mulmig, dass ich entweder Jazz höre oder zu Kabarett-CD's greife. Nachrichten, die oft belanglos heruntergelesen werden und harmlos klingen, sind in ihren Konsequenzen oft fatal. Sozialreformen und Umweltpolitik werden kurzfristigen ökonomischen Erfolgen untergeordnet, die Zeche zahlen später wir, oder die nach uns. Keine nachhaltigen, sinnvollen Entscheidungen, man schielt lieber auf das Wirtschaftswachstum des nächsten Jahres. Jeder weiß, dass das größte und schnellste Wachstum durch den Verkauf des Bestandes erreicht wird. So sieht das denn denn auch aus: Staatliches - also auch mein! - Eigentum wird verschleudert, während die Risiken von mächtigen Branchen vergemeinschaftet werden: Atomkonzerne, Banken, Pharmaindustrie. Wir tragen die Lasten, dafür wird unsere Zukunft verkauft. Im Interesse von zwei, drei Jahren Wohlstandsgewährleistung. Politik im Jetzt, dank Ausverkauf. Was ist eigentlich mit meiner, mit unserer Zukunft? Haben wir da ein Recht drauf? Oder unsere Kinder? Was ist mit denen?

Ich sehe mich schon mit 70 ehrenamtlich Atomendlager bewachen, weil wir die Polizei nicht mehr bezahlen können. Dabei muss ein abgewetzter Schutzanzug getragen werden, weil die Bleiverkleidungen nachlässig eingebettet wurden und nun auseinanderfallen. Schon heute ist der Wohlstand für einen großen Teil der Bevölkerung eine Illusion. Viele verdienen so wenig, dass sie zusätzliche Hilfe vom Amt brauchen. Alles natürlich im Sinne des Aufschwungs, denn nur wenn wir billig produzieren, können wir auch ins Ausland exportieren - auf Kosten unserer Arbeitnehmer und deren Kollegen im europäischen Ausland. Folglich müssen Lebensmittel so billig hergestellt werden, dass Giftabfälle zu einem preiswerten Bestandteil unserer Ernährung werden. Und was bekommen die "Niedriglöhner" letztlich als Rente? So gut wie nichts. Wer darf die Kosten für diesen gesellschaftlichen Ausverkauf zahlen? Unsere Kinder und die nachfolgenden Generationen. Nein, wer die Nachrichten verfolgt, kommt irgendwann zu dem Schluss, dass eine Gruppe von Konzernlobbyisten das Land besetzt hat und es nun gnadenlos zerlegt.

Seit der Entscheidung, die Laufzeiten der AKW zu verlängern, möchte ich vor Gericht. Klagen. Meine Zukunft einklagen. Eine Lücke in unserem Grundgesetz. Das "Recht auf Zukunft" fehlt. Andere Artikel werden ja komplett ignoriert. "Eigentum verpflichtet". WO? Vergesellschaftung von Eigentum? Wann? Nein, wir bräuchten einen gesellschaftlichen Aufschrei, keine scheinheiligen Talk-Show Debatten über Banker-Boni. Eine Initiative "Zukunft jetzt". Denn morgen haben wir keine mehr.

10
Jan
2011

Jester's Door: Kneipenrevolutionäre

Ich saß mal wieder mit schwerem Kopf am Tresen des Jester's Door und trank einen Kaffee. Dieser Laden war wirklich zu einem Laster geworden - abends schmeckte das Bier zu gut, und morgens bzw. mittags oder wann immer man aufstand, gab es eindeutig den besten und günstigsten Kaffee der Stadt. So schüttete ich mir den dritten Becher hinein, während das dröhnende Hämmern in meinem Kopf langsam nachließ. Eigentlich wartete ich auf die Sitzung des am vorigen Abend ins Leben gerufenen "Arbeitskreis Sozialismus jetzt!", war mir aber nicht mehr ganz sicher, was wir damit beabsichtigt hatten. Naja, wir würden schon einen Grund finden.

Ich blickte mich um, und war der festen Überzeugung, dass sich auf dem Schachbrett etwas getan haben musste, auch wenn die beiden Spieler wie eh und je unbeweglich davor saßen. Ihre langen Bärte verrieten keine Regung. Auch sonst schien heute alles ein wenig anders zu sein, selbst die Punks waren noch nicht volltrunken und trafen beim Billard tatsächlich mal die richtigen Kugeln. Ein Typ namens Peter kam herein, auch einer dieser Stammkunden. Ein Freund des Jester‘s, der im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen über ein regelmäßiges Einkommen verfügte und daher von der Kleidung her sofort auffiel. Sie stammte eindeutig nicht aus einem Oxfamladen.

Soweit ich mich erinnern konnte, hatten wir bald alle Figuren zusammen, die sich die Einrichtung dieses Arbeitskreises ausgedacht hatten. Im wesentlichen waren es dieselben, die regelmäßig am sozialistischen Lesekreis Nord und anderen pseudorevolutionären Zusammenkünften im Jester‘s teilnahmen. Als der Jester schließlich reinkam und der Timemaster pflichtbewusst den Beginn des Treffens eingeläutet hatte, nahmen wir alle am großen Tisch Platz. Im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheiten stand nur Kaffee auf dem Tisch, lediglich der Jester selbst war ohne Bier nicht zur Teilnahme an der Diskussion zu gewinnen. Das galt im Prinzip für alle Aktivitäten des Jester‘s.

So begann eine breite Diskussion, wie man denn JETZT den Sozialismus einführen könnte. Das ganze fing klein an, wuchs sich dann aber schnell aus. Einwände von Jens und mir, man solle vielleicht erstmal definieren, was man denn genau damit meine, wurden in den Wind geschlagen. „Wir dürfen uns jetzt nicht auf Grundsatzdebatten einlassen. Das Elend ist groß genug, wir müssen handeln.“ Der ehemalige Gymnasiallehrer in der Lederjacke sprach weiter: „Mittlerweile merken selbst Leute wie Sarrazin, wie dumm sie selbst und der Rest um sie herum geworden ist. Bald wird damit nicht nur Geld gemacht, das macht die Bild ja schon seit Jahrzehnten“. Wieder Kopfnicken, aufgeregte Rassismusbeiträge, der Hinweis auf brennende Moscheen.

Jens hakte wieder nach, was man denn jetzt konkret erreichen wolle? „Na, wir müssen an die Wurzel. Hier muss ein ganz anderes System her!“ Der Jester, mittlerweile bei seinem fünften Bier, meldete sich vehement zu Wort: „Ach was! Eure Ideen werden alle zu Kommerz, die verkaufen doch alles, und bevor ihr Euch verseht, seid Ihr alle, alle scheiß Popidole!“. Wir guckten uns etwas irritiert an, und dann rief der Soziologiestudent im 65. Semester: „Die Medien! Wie müssen die Medien besetzen, den Leuten die Wahrheit zeigen. Das ist der Beginn der Revolution!“ Erst Zustimmung, dann Einwände: „Und das Internet?“ - „Das auch“ - „Du willst das Internet besetzen?“ - „Nein, nutzen.“ - „Aber ich blogge doch schon!“

Plötzlich fing der Schlagzeuger der BAND mit dem Soundcheck an. Worauf Jens brüllte "Ey, fangt mal später an, Leute, wir machen hier gerade Revolution!" Der Bassist schüttelte mit dem Kopf und nuschelte was von "Ach, ist es mal wieder soweit...". Die Diskussion ging fort, und man machte erste konkrete Pläne zur Erstürmung des lokalen Radios, während der Jester permanent von „Kommerz“ und „alles nur gekauft“ faselte. Gegen 19 Uhr war man dann bereit, zur Tat zu schreiten. Voll revolutionärem Pathos und mit einem Zehn-Punkte-Forderungskatalog bewaffnet wollten sich 20 Gestalten zum Sender aufmachen.

Doch dann erklärte Peter: "Jo, Jungs, wär' ja gern dabei, muss aber gleich zum Pilates - können wir die Revolution vielleicht auf morgen..." - Diese Bemerkung hätte er sich besser gespart, denn Jens und zwei weitere Kollegen fuhren derartig aus der Haut, dass wir sie nur mit Mühe von Handgreiflichkeiten abhalten konnten - d.h., nachdem Jens über den Tisch gesprungen war, Peter auf den Boden geworfen und durchgeschüttelt hatte. Wir konnten ihn etwas beruhigen, dennoch hatte er noch etwas Schaum vor dem Mund und wiederholte immer aufs Neue: "Pilates. PILATES! Was darf es sein: Etwas Revolution oder doch lieber Pilates? Ach nö, ich nehm erstmal Pilates,und wenn ich dann noch Zeit habe einen Antifa-Sticker... Was ist das denn für eine Toskana-Revolution? Hä". Diesen Satz sollte für die nächste Woche jeder hören, der ein Bier bestellte. Und die Revolution war ohnehin ausgesetzt - bis auf weiteres.
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