Bitte Vorspann zum ersten EU-Blog beachten.
Das zweite Interview: Estelle, 29, Mitarbeiterin einer französischen Europaabgeordneten
Ich treffe Estelle im Charles Quint, einer relativ neuen Kneipe/Brasserie an der Ecke vom Place Luxembourg, direkt neben dem Europäischen Parlament. Es ist der Freitag nach Himmelfahrt, für viele eigentlich ein Brückentag. Doch viele der Assistentinnen und Assistenten, wie die Mitarbeiter der Europaabgeordneten offiziell heißen, arbeiten heute trotzdem. Das liegt zum einen daran, dass sie einfach viel zu tun haben, zum anderen an der bevorstehenden Plenarwoche in Straßburg, die in der Regel intensiv vorbereitet werden muss. Zur Erklärung: Das Europäische Parlament ist durch die Europäischen Verträge verpflichtet, einmal im Monat seine Plenartagungen in Strassburg abzuhalten, das offizieller Sitz des Parlaments ist. Alle anderen Arbeiten wie z.B. Ausschuss- oder Fraktionssitzungen, finden am Brüsseler Parlamentssitz statt, in Laufweite zu den anderen Institutionen der EU. Jeden Freitag vor einer solchen Woche werden die Akten in Kisten, den so genannten Kantinen, gepackt und abgeholt.
Dennoch ist es ruhiger als sonst, denn es ist erst fünf Uhr nachmittags, an normalen Arbeitstagen komme sie selten vor 20 Uhr aus dem Büro, berichtet sie mir. Nach dem unsere Getränke da sind - ich starte mit einem Kaffee, Estelle hat sich ein Bier verdient - frage ich, wie sie in die Europapolitik gekommen sei. Europa sei ihr in die Wiege gelegt worden: Estelle selbst ist in Kehl als Tochter einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters aufgewachsen, ging aber in Straßburg zur Schule. Sie studierte danach Politikwissenschaften, trat bereits 1998 den französischen Jusos bei und ein Jahr später der PS(Parti Socialiste). Der Europawahlkampf 1999 war folglich das erste große politische Ereignis, an dem sie aktiv teilnahm. Später arbeitete sie in Paris, war im Vorstand der französischen Jusos für den Bereich Europa zuständig und im Vorstand von Ecosy, dem Zusammenschluss der sozialdemokratischen Jugendorganisationen Europas.
Wie sie dann nach Brüssel gekommen sei? „Ein jüngerer französischer Europaabgeordneter, den ich aus der Arbeit bei den französischen Jusos ganz gut kenne, rief mich vor 4 Jahren an und sagte, eine Kollegin suche noch eine Assistentin und ob ich mich nicht bewerben wolle.“ Das habe dann auch gleich geklappt und seitdem sei sie in Brüssel. Sie habe eigentlich auch immer im Parlament arbeiten wollen. „Mir gefällt die Arbeit, es ist hektisch, es passiert unheimlich viel auf einmal. Da wäre mir die Arbeit bei der Europäischen Kommission zu langweilig. Aber vor allem bin ich hier direkt am politischen Prozess beteiligt, an den Gesetzesberatungen. Das ist schon sehr spannend.“ Allerdings dauere es eine ganze Weile, bevor man die Abläufe kennt, die nötigen Kontakte geknüpft habe. Nach vier Jahren im Parlament sei sie aber nun an dem Punkt angelangt, sich verändern zu wollen. Auf Dauer könne man sich im Alltag leider nur oberflächlich mit vielen Themen beschäftigen - als Assistentin sei sie ja auch für viele organisatorische Angelegenheiten rund um die Abgeordnete zuständig, auch wenn sie eine Kollegin für diesen Arbeitsbereich habe.
„Das Tagesgeschäft verstellt oft den Blick für die wichtigen Debatten“
Ich bestelle noch mal Getränke, und in Belgien muss man ja eigentlich ein Bier am Abend trinken - jede anständige belgische Kneipe hat mindestens 10 verschiedene Biersorten auf der Karte, eine Bar im Zentrum hat ca. 3000 unterschiedliche Biere vorrätig. Das Bier kommt, und mich interessiert, ob die Arbeit im Parlament ihren Vorstellungen entspricht. „Nun, ich hatte eigentlich erwartet, mehr Kontakt mit Mitarbeitern anderer Delegationen zu haben. Der alltägliche Austausch ist doch oft auf die anderen französischen Assistenten und Assistentinnen der PS beschränkt. Es dauert eine Zeit, bis man zu anderen Delegationen Kontakte knüpft, und die ergeben sich meistens über die direkte Zusammenarbeit in den Ausschüssen“. Auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der anderen französischen Fraktionen habe sie relativ selten zu tun. Das sei insgesamt sehr schade, denn das eigentlich spannende am Europäischen Parlament seien letztlich die internationalen Kontakte, die unterschiedlichen Kulturen, die neu zu entdeckenden Blickwinkel. Aber am Ende eines Arbeitstages habe sie selten Lust, sich abends noch auf Englisch zu unterhalten, dass sei dann auch eine Konzentrationsfrage.
Am Nachbartisch wird es gerade etwas lauter, eine Gruppe italienischer Parlamentsmitarbeiterinnen hat sich eingefunden und hat offensichtlich viel Spaß. „Was reizt Dich denn an der parlamentarischen Arbeit hier besonders?“ frage ich, nachdem es wieder etwas ruhiger geworden ist. Nach kurzer Überlegung antwortet Estelle: „Die Arbeit mit dem Ausschusssekretariat finde ich eigentlich sehr spannend. Meine Chefin ist ja Ausschussvorsitzende, da sind natürlich viele Weichenstellungen zu treffen.“ Ich frage nach: „Deine Abgeordnete ist jetzt Vorsitzende im Ausschuss für Beschäftigung und Arbeit (EMPL), sie war vorher im Ausschuss für Ausschuss für Wirtschaft und Währung(ECON). Beschäftigung und Soziales sind wichtige Felder für die S&D-Fraktion(Sozialisten/Sozialdemokraten und Demokraten). Macht sich das in Eurer Arbeit bemerkbar?“ Sie sagt, es sei zunächst einmal festzustellen, dass die Fraktion nur selten mit der Partei(gemeint ist die PES: Partei der Europäischen Sozialdemokraten) zusammenarbeite. Auch seien insgesamt strategische Debatten nicht sehr häufig, da der gesetzgeberische Alltag eine zu große Rolle spiele. Da sind dann taktische Erwägungen innerhalb des Hauses wichtiger, gerade im EMPL-Ausschuss haben wir noch relativ wenig harte Gesetzgebung, da fallen strategisch wichtige Debatten schon mal hinten runter.
„In Frankreich kommt die EU noch seltener in den Medien vor als in Deutschland“
Sie habe außerdem den Eindruck, dass die französischen Sozialisten insgesamt unzufrieden mit der Fraktion seien, da diese zu oft den Konsens suche. „Die Fraktion meint oft, das Europäische Parlament als Ganzes gegen den Europäischen Rat und die Kommission stark machen zu müssen. Nach dem Lissabon-Vertrag haben wir ja nun mehr Macht, da kann man die alten Verhaltensmuster endlich ablegen und die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien deutlich machen. So haben die französischen Sozialisten nicht verstanden, warum die Barroso-Kommission nicht von der gesamten Fraktion abgelehnt wurde.“ Ihrer Meinung nach müsse man damit aufhören, Europa immer als Idee zu verteidigen, denn die Leuten würden nicht Europa wählen, sondern Parteien. Wenn die nur europapolitische Seminare abhielten und europapolitischen Konsens predigten, gebe es keinen Grund, sich für Europa zu interessieren oder einzusetzen - und schon gar keinen, zur Europawahl zu gehen. Die Bürger in Europa seien doch oft gegen die EU, weil sie als unsozial empfunden werde. Das wäre doch ein Grund mehr, zu sagen, wer denn da diese unsoziale, marktliberale Politik mache und wo die Sozialdemokraten eigentlich hinwollten. Das werde aber oft nicht klar gesagt und nicht strategisch genug angegangen.
Welche Rolle denn europäische Themen in Frankreich spiele, frage ich weiter. „Europa kommt in den französischen Medien noch seltener vor als in den deutschen, und wenn es Thema ist, dann meist negativ besetzt. Errungenschaften oder positive Auswirkungen werden selten dargestellt. Daher müssen die Abgeordneten eigentlich noch viel mehr in Parteien und Wahlkreise wirken, um die Vielfältigkeit, die positiven wie negativen Ergebnisse europäischer Integration auch in der Breite zu kommunizieren. Die Bürger können sich doch gar kein eigenes Bild machen, weil die Medien die Überschriften immer vorgeben: Europa ist unsozial, es ist bürokratisch, etc.“ Seit dem Lissabon-Vertrag gebe es aber immerhin eine bessere Anbindung an die Nationalversammlung, die die strategische Bedeutung des Europäischen Parlamentes langsam erkenne. Ich merke an, dass die deutschen Sozialdemokraten mittlerweile mehr Kontakt nach Berlin haben, seit diese dort in der Opposition seien. Die strategische Bedeutung der Europaabgeordneten wachse in Zeiten nationaler Opposition, das scheine in Frankreich ähnlich zu sein. Estelle nickt.
„Es braucht seine Zeit, um sich in Brüssel wohl zu fühlen.“
„War es denn schwierig für Dich, sich in Brüssel einzuleben?“ Sie zögert. „Zu Beginn schon. Das lag aber auch daran, dass ich in den ersten Monaten relativ häufig in Frankreich war, bei Freunden oder weil ich noch Ehrenämter hatte. Mittlerweile habe ich mich eingelebt, wobei es Zeit braucht, bevor man sich in Brüssel wohl fühlt. Aber eigentlich leben wir ja hauptsächlich im Europaviertel, treffe viele nette Menschen auch unterschiedlicher Nationalität treffen. Die ersten Monate verbringt man ja oft auf dem Place Luxembourg, aber das wird schnell langweilig, wenn man sich hier zurechtgefunden hat. Die Lebensqualität ist außerdem sehr hoch, es gibt viele Parks, und im Gegensatz zu Paris ist das meiste fussläufig zu erreichen. Das ist schon ein großer Vorteil.“ Wirklich frustrierend sei allerdings, dass man weit weg von den Strukturen in Frankreich sei. Wenn man irgendwann zurückwolle, sei dies problematisch, da man ja jahrelang nicht wahrgenommen worden sei. Gerade in der Parteiarbeit mache sich das bemerkbar, auch wenn es eine Sektion der französischen PS in Brüssel gebe. „Die sind halt auch weit weg. Außerdem vermisse ich hier die soziale Mischung, die die Parteiarbeit vor Ort in Frankreich ausgezeichnet hat. In Brüssel sind die Parteimitglieder allesamt im politischen Bereich tätig, haben studiert, etc. Das ist in Frankreich anders, da sitzen auch Arbeitslose oder Arbeiter am Tisch, die nicht zur Universität gegangen sind.“ Diesen Austausch vermisse sie doch sehr. Deshalb sei sie auch bei den PES-Activists aktiv, aber da sei die Lage ähnlich wie bei der PS(zu diesem Programm wird ein anderer Gesprächspartner noch erklären).
Ich frage sie, wie sie die Politik in Belgien wahrnimmt? „Belgien selbst ist ein sehr kompliziertes Land, das anfangs schwer zu verstehen ist. Ich habe ja am Wahlkampfauftakt der PS (Parti Socialiste - wallonische Sozialdemokraten) teilgenommen. Da gab es keinen Gastredner der flämischen Schwesterpartei, und auch sonst scheinen die Parteien sich kaum auszutauschen. Meiner Beobachtung nach orientiert man sich eher nach Frankreich oder im Falle der sp.a (socialisten en progressieven anders - flämische Sozialdemokraten) gen Niederlanden. Aber ich habe mir vorgenommen, mich in diesem Wahlkampf mehr mit der Politik in Belgien zu beschäftigen.“ Wir beenden das Gespräch bei einem weiteren Jupiler - nicht das beste belgische Bier, aber immerhin.
starkerkaffee - 26. Mai, 13:41
Die Europäische Union bleibt oft ein Buch mit sieben Siegeln, und Brüssel wird häufig als Synonym für Bürgerferne und Lobbyismus benutzt. Ich möchte mit diesem Blog eine Reihe starten, in der ich Menschen vorstelle, die rund um die EU arbeiten. Was passiert in Brüssel? Wer arbeitet da? Wieso erfahren wir so wenig aus Europa? Wie sind die Abläufe? Wie viel Einfluss haben die Lobbyisten wirklich? Und was macht Brüssel eigentlich aus?
Diese und weitere Aspekte möchte ich mit unterschiedlichen Gesprächspartnerinnen und -partnern erläutern. Dabei geht es mir darum, dem anonymen EU-Betrieb menschlich fassbare Konturen zu verleihen. Wer dazu Anregungen hat oder bestimmte Fragen erörtert haben möchte, kann mir gern schreiben.
Meine erste Interviewpartnerin: Teresa, 33, Journalistin aus Schweden
Ich habe mich mit Teresa im Stoemelings verabredet, einer kleinen, typisch belgischen Kneipe am Place de Londres. Fünf Minuten entfernt vom Europäischen Parlament und am Rande des afrikanisch geprägten Viertels Matonge gelegen, trifft sich hier ein gemischtes Publikum aus Belgiern, EU-Menschen und anderen Zugewanderten. Ich setze mich an einen einfachen Holztisch, bestelle einen Lait Russe - die belgische Variante des Milchkaffees. Pam, die Kneipenbesitzerin, diskutiert am Nebentisch die Zubereitung tibetanischer Speisen mit zwei Asiatinnen, während ihr einziger Mitarbeiter mir den Kaffee zubereitet. Pams Familie stammt aus Tibet, sie selbst ist in Belgien aufgewachsen. Auch ihr Mitarbeiter kommt aus einer asiatischen Einwandererfamilie. Ich rede hier immer Französisch - man kommt sich doch etwas komisch vor, wenn auch mit Belgiern immer englisch oder deutsch gesprochen wird.
Das Wetter ist grau, und durch die dunkle Holzverkleidung ist es in der Kneipe noch dunkler, nur die Spiegel an der Rückwand reflektieren das Licht. Teresa kommt pünktlich, wirkt aber gestresst. „Seit dem Beginn der Griechenlandkrise hat mich unsere Finanz- und Wirtschaftsredaktion für sich gebucht“ erklärt sie leicht außer Atem. Sie arbeitet seit Januar für eine der beiden großen schwedischen Tageszeitungen als Korrespondentin, war vorher als eine der typischen Bauchladenjournalistinnen für verschiedene Publikationen in Brüssel als freelancer tätig. Insgesamt ist sie bereits seit fünf Jahren in Brüssel. Ich lasse sie etwas zur Ruhe kommen, bevor ich ihr meine Fragen stelle. Sie bestellt sich einen Rotwein, legt das Handy auf den Tisch. Die Familie wolle noch aus Schweden anrufen. Für mich ist das natürlich kein Problem.
Ich erkläre ihr, was ich genau vorhabe und auf welcher Plattform ich den Blog schreibe. Sie tippt etwas ins Handy, bevor wir anfangen. Ob es schon immer ihr Wunsch gewesen sei, in Brüssel zu arbeiten? „Ich bin eine typische Europäerin“ antwortet sie. „Meine Mutter ist Spanierin, mein Vater halb deutsch, halb dänisch - und ich bin in Schweden aufgewachsen. Ich ging später in Frankreich zur Schule, war dann in Spanien. Ich wußte daher schon früh, dass ich meine Sprachkenntnisse nutzen wollte. Als ich dann vor der Wahl stand, habe ich mich gegen ein Studium als Übersetzerin entschieden und für den Journalismus.“ Ihr sei es wichtig gewesen, selbst etwas aussagen zu können, und nicht nur Meinungen anderer wiederzugeben. Den Schwerpunkt EU-Journalismus habe sie dann gewählt, weil Europa schon damals als wenig attraktiv galt unter Journalisten. Dies schien ihr die richtige Nische zu sein, um trotz des Konkurrenzdrucks in der Medienwelt einen interessanten Job bekommen zu können. So sei sie dann auch für ein Praktikum nach Brüssel gekommen und ist gleich geblieben.
„Die EU sehe ich sehr pragmatisch.“
„Was bedeutet die Europäische Union dann für Dich?“ stelle ich die nächste Frage. Europa sehe sie eher pragmatisch, antwortet sie. Da Schweden ja sehr spät der EU beigetreten sei, hätte auch sie nicht diese emotionale Verbundenheit wie viele Deutsche oder Franzosen. „Das Friedensprojekt Europa hat sicherlich große historische Bedeutung, aber die Menschen halten Frieden mittlerweile für etwas Selbstverständliches. Die Zeit schreitet voran, und die Menschen müssen vom Sinn der Europäischen Union mit anderen Argumenten überzeugt werden. Ganz pragmatisch, auch kritisch. Mit sentimentalem Pathos kommen wir nicht weiter.“ Sie stelle Leuten immer die praktischen Vorteile der Europäischen Union dar, beim Umweltschutz, der Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder bei Krankheitsepidemien. Dies seien alles Probleme, die nationale Grenzen ignorierten. Da sei die europäische Harmonisierung in vielen Fällen sehr hilfreich. Aber man dürfe auch die Probleme nicht verleugnen. So sei heute niemandem mehr zu vermitteln, warum das Europäische Parlament einmal im Monat in Strassburg tagen müsse.
Welche Themen sie denn schwerpunktmäßig bearbeite? „Nun, als Korrespondentin muss ich alle politischen Bereiche abdecken, im Moment ist es halt sehr viel Finanz- und Wirtschaftspolitik. Vorher habe ich mich schwerpunktmäßig mit der Innen- und Rechtspolitik sowie der Außen- und Verteidigungspolitik beschäftigt. Aber grundsätzlich versuche ich den Leuten bei allem zu erklären, warum Entscheidungen auf europäische Ebene getroffen werden und welche technischen wie rechtlichen Probleme es bei deren Umsetzung gibt.“ So benötige das eine Land die Zustimmung des Parlaments, ein anderes müsse in einigen Fällen ein Referendum abhalten - und Deutschland habe ständig Probleme mit dem Verfassungsgericht, das es in Schweden z.B. nicht gebe. Ein Europäischer Konsens brauche daher Zeit, er müsse zwischen den Europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Das müsse erstmal dargelegt werden.
„Es ist ein ständiger Kampf, Europäische Themen in die Zeitung zu bekommen.“
An dieser Stelle des Gesprächs meldet sich ihr Telefon. Während sie das Gespräch führt, bestelle ich mir einen weiteren Kaffee und schaue mich um. Das Publikum hat gewechselt, es sitzen einige spanische Abgeordnetenmitarbeiter am Fenster, am Tisch daneben feiern einige junge Belgier. Die beiden Frauen neben uns geniessen mittlerweile so etwas wie tibetanische Ravioli. Schließlich beendet Teresa das Telefonat lächelnd, aber etwas erregt: „Das war meine Redaktion. Sie wollen, dass ich am Sonntag die Titelstory schreibe. Der Sondergipfel zur Griechenlandkrise.“
Ich schließe meine Frage an, wie denn generell die EU in Schweden wahrgenommen werde? „Kaum. Sonst ist es sehr schwierig, überhaupt Artikel über Brüsseler Politik in die Zeitungen zu bekommen. Ehrlich gesagt bin ich eigentlich etwas frustriert darüber, immer dafür kämpfen zu müssen, dass meine Artikel gedruckt werden.“ Schweden hätte der Beitritt zur Europäischen Union nun mal nicht besonders verändert, daher sei das Interesse gering. Folglich gebe es in Brüssel auch mehr maltesische Journalisten als schwedische. Was dazu führe, dass sie als einzige Korrespondentin der großen schwedischen Tageszeitungen für die schwedischen Politiker auf europäischer Ebene von enormer Bedeutung sei - als freelancer sei sie nicht so beachtet worden.
Ohnehin nutze die schwedische Politik die EU vorwiegend als Ausrede. „Wenn sie etwas unpopuläres durchsetzen, dann liegt es an Europa - und wenn sie eine andere Entscheidung nicht treffen wollen, dann geht es nicht, weil Europäische Gesetze es verbieten. Dabei will ich doch von der schwedischen Politik, dass sie schwedische Interessen in Brüssel vertritt und annehmbare Kompromisse aushandelt.“ Mittlerweile hätte sich allerdings gezeigt, dass auch kleinere Länder ihre Interessen durchsetzen könnten, wenn sie eine Vermittlerrolle einnehmen. Einem schwedischen Vorschlag könne mitunter eher zugestimmt werden als einem deutschen, französischen oder englischen, selbst wenn er inhaltsgleich sei.
„Ich liebe Brüssel!“
Ich frage sie, ob ihr Brüssel eigentlich gefällt. „Ich liebe es!“ antwortet sie enthusiastisch. „Brüssel ist voll Leben, Musik, Kunst, Kultur, es ist ständig etwas los. Eigentlich lebe ich ja im Euroland, habe täglich mindestens 30 unterschiedliche Nationalitäten um mich. Und Brüssel ist ja ohnehin multikulturell geprägt, Flamen und Wallonen organisieren viele Festivals. Außerdem sind die Opernhäuser toll, und ich liebe Oper.“ Belgien habe zwar einen chaotischen Ruf, aber eigentlich sei es sehr liebenswert. Letztlich hätten die Belgier die Fähigkeit, in den aussichtslosesten Situationen noch irgendwie einen Kompromiss zu finden. Einzig der Wohnstandard würde sie ab und an stören, das sei mit Deutschland oder den skandinavischen Ländern wirklich nicht zu vergleichen.
Ich lächle, jeder Expat kennt die Probleme mit Warmwasserboilern, Heizungen und undichten Fenstern. Wir lassen das Gespräch bei einem Glas Rotwein ausklingen und machen uns anschließend auf den Weg zum Place Lux - eigentlich Place Luxembourg, einer stark frequentierten Ansammlung von Bars direkt vor dem Europäischen Parlament. Teresa will noch eine dänische Freundin treffen, für mich liegt es auf dem Heimweg. Die Freundin arbeite als freelancer, wie sie selbst zuvor. Als wir ihr vor einer weniger überlaufenen Kneipe des Platzes begegnen, führen wir die Unterhaltung kurz auf dänisch fort und Teresa berichtet vom Interview. Die Kollegin erzählt, dass sie demnächst auch Beiträge für ein Radioprogramm produzieren soll und dafür noch witzige Anekdoten suche. Ich schlage die berühmten Haikus des belgischen EU-Ratspräsidenten van Rompuy vor, als sich Teresas Handy mit einer SMS meldet. Ein Freund hat ihr geschrieben, die Freitag Community sei absolut lesenswert und sie hätte mit dem Interview nichts falsch gemacht. Ich rate ihr, den Blogbeitrag abzuwarten, verabschiede mich und unterquere das Europäische Parlament - die Arbeit wartet.
starkerkaffee - 26. Mai, 11:01