16
Feb
2011

Jester's Door: Bierkrieg(2)

Es war am frühen Abend des nächsten Tages, als ich die Cocktailbar betrat. Die Einrichtung war edel, aber völlig geschmacklos. Einer jener Plätze, an denen sich die Schickeria mittelgroßer Städte traf. Kohle hatte noch nie Geschmack ersetzen können. Naja, ich seufzte und setzte mich an die Bar. Meinem Auftrag entsprechend bestellte ich mir einen Kaffee und blickte mich um. Unter neonfarbenen Leuchten saßen jungdynamische Männer, die noch in ihre Anzüge reinwachsen mussten. Meistens wurden sie von viel zu stark geschminkten Karrierefrauen begleitet, die bemüht tough vor pastellfarbenen Wänden posierten. Die Typen hingegen verkrampften beim lässig wirken. Der Jester war nicht zu sehen, dafür hingen verstreut die üblichen Poster von Hollywoodfilmen, James Dean, natürlich Humphrey Bogart. Mir fiel dabei auf, dass ich gar nicht auf den Namen der Bar geachtet hatte. Vermutlich "Rick's Café", maximal "Blue Parrot", aber nur wenn der Besitzer etwas mehr Fantasie hatte als die Einrichtung. Ich schaute auf die Karte. Es war "Rick's Café".

Ich bestellte einen zweiten Kaffee, wobei sich das scheußliche braune Gebräu kaum so nennen dürfte, zudem war es überteuert. Ich hatte fasziniert beobachtet, wie das schöne Kaffeepulver durch einen dieser Hyper-Kaffeeautomaten mit Vorwaschgang und Seifenschaummodus gejagt wurde. Der gegelte Barkeeper stellte sich dabei so tölpelhaft an, dass der Landevorgang eines Albatros' dagegen wie eine perfekte Eiskunstlaufkür angemutet hätte. Ich wurde unruhig, der Jester war immer noch nicht da und der Laden war wirklich nicht zum Aushalten. Eine extrem aufgetakelte Frau - um es neutral auszudrücken - hatte sich zu mir an die Bar gesetzt und fragte mich ernsthaft, ob ich ihr nicht einen "White Russian" ausgeben wolle, den wollte sie schon immer mal probieren. "Nein". Ich schob dann der Höflichkeit halber noch nach, dass der hier sowieso mit Sahne gemixt werde, was total gegen meine Prinzipien verstoße, aber der Schaden war schon angerichtet. Was ich eigentlich auch wollte, nach einem kurzen verbalen Rückzugsgefecht war ich dann auch wieder allein und konnte mich ganz meinem Auftrag widmen.

Da trat er auch schon ein, mit hochrotem Kopf, und ließ sich an einem der Tische im Eingangsbereich nieder. Einer der gegelten Kellner brachte ihm ein Bier, während ich der Einsatzzentrale eine SMS schickte. Ich wartete noch etwas, investierte in einen Whiskey Sour - ich frage mich bis heute, ob ich mit dem Drink gleich Anteile an dem Laden erworben habe - und ging zum Tisch des Jesters. "Nanu, Du hier? Wußte gar nicht dass Du", ich lauschte der Musik, "Fan von Easy Listening Pianisten bist." Der Jester verzog das Gesicht: "Naja, das nun nich gerade. Aber das Bier ist gut." Ich grinste: "Hmm, wie ich sehe, ist es vor allem billig, was man von meinem Cocktail nicht gerade sagen kann. Aber so was bekommt man im Jester's Door ja nicht. - Darf ich mich setzen?" Er nickte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich der Rest der Eingeweihten mit einem Ghettoblaster an der nächsten Ecke aufbauten. Die Musik war in dieser Phase besonders unerträglich geworden, es lief "Girl from Ipanema" in einer gruseligen Reggae-Jazzpiano-Variante. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, der Whiskey konnte nicht schnell genug wirken, um das Leiden zu lindern. Auch der Jester schüttelte den Kopf, sein Gesichtsausdruck zeugte von körperlichen Schmerzen.

In diesem Augenblick betrat der Bassist der BAND die Bar. Er wirkte in dieser Umgebung mit seinen langen Haaren, den aufgeschlissenen Klamotten und der bemalten Jacke ungefähr so deplatziert wird ein Wal im Weltall. Der Jester schaute ihn überrascht an, murmelte was von "hier ist ja was los heute", während der Sir John, wie er genannt wurde, auf ihn einredete und die Rückgabe von 30 Musikalben sowie diversen Büchern verlangte, die der Jester von ihm geliehen hatte. Der war nämlich dafür bekannt, ein notorischer "Borger" zu sein. Etwas genervt trank der Jester aus, um die gewünschten Sachen aus seiner Wohnung zu holen, wenn er sie denn überhaupt finden konnte. Ich leerte mein Glas, und begleitete die beiden hinaus. Kaum waren wir auf der Straße, da hörte ich schon die Musik. Die ersten Takte von "Script for a Jester's Tear" waren zu hören, und wie geplant ging unsere Zielperson der Sache schnurstracks nach. Ich grinste, an der nächsten Ecke wartete eine Abordnung von 20 Stammgästen auf ihn. Einige Punks, der Stammtisch der Anglistikstudentinnen, die BAND, Mitglieder des "Sozialistischen Redezirkels Nord". Selbst die beiden greisen Schachspieler waren mitsamt zweier Hocker, eines Klapptisches und ihres Schachbretts waren vor Ort und saßen regungslos am Rande der Menge.

Der Jester stand überwältigt vor dieser absurden Truppe und flüsterte den Text des Liedes. Einige Tränen liefen ihm die Wangen herunter, während ihn Ralf, einer der ehemaligen Studienräte in den Arm nahm und sagte: "So, reicht das? Kommst mit?". Der Jester nickte nur betreten, und ein Grummeln ging durch die Menge. Statt laut ausbrechender Freude wurde der Jester nun mit Vorwürfen überzogen. "Wat fällt Dir denn ein", "Ne Stunde in der Kälte rumsteh'n wegen diesem Narren" oder "so billig kann dat Bier doch gar nich sein!". Das Lied war vorbei, wir machten uns auf den Weg. Der Jester wurde die ganze Zeit über einer Art Inquisition ausgesetzt, musste genau erklären, wieso er in so einen Laden gelangen konnte. Genau zu verstehen waren seine Erklärungen nicht, er murmelte etwas wie "Studien in Kommerzialisierung" oder "durch den Kapitalismus verführt worden" etc. Ich hörte nicht weiter zu, stellte nur irgendwann fest, dass die beiden Schachspieler nicht mitgekommen waren, jedenfalls waren sie nicht mehr dabei, als sie ihr Ziel erreichten.

So betraten wir das Jester's Door. Alles wirkte wieder normal, der Timemaster stellte gerade die Wanduhr auf die richtige Zeit ein und der Jester ging zu seinem Stammplatz an der Theke. Die beiden weißhaarigen Schachspieler saßen da wie immer... - Moment! Wie hatten sie vor uns da sein können? Ich rieb mir die Augen, der Bassist der Band klopfte mir auf die Schulter, gab mir ein Bier und murmelte "Denk nicht drüber nach. Ich versteh es och nich' ". So ging ich selbst rüber zu Jens, der dem Jester gerade ein Bier mit den Worten reichte: "Dat machst' nich nochmal. Wir schließen Dich sonst vom sozialistischen Redezirkel aus!" Diese Ermahnung hatte tatsächlich Einfluss auf den Jester, der verschämt an seinem Bier nippte. Die BAND begann also zu spielen, als einer der Kellner aus der Cocktaibar rein kam, sich umsah, schnurstracks auf den Jester zuging und ihm einen weiteren Discount auf seine Getränke anbot. Sofort umklammerten der Timemaster und Jens den Jester, redeten auf ihn, während die Punks sich das gegelte Jüngelchen schnappten und ihn im hohen Bogen auf die Straße warfen. Die BAND störte der Vorfall nicht weiter, mit stoischer Ruhe begann sie ihren Auftritt und ließ "Script for a Jester's Tear" ertönen. Der Obernarr im Raum stellte sich mal wieder auf die Theke, und der Stammtisch der Anglistikstudentinnen begann eine Diskussion über die Funktion des Narren bei Shakespeare. Ich grinste, trank mein Bier und dachte nur: "Wie schön".
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