5
Jan
2011

Die weiteren Aussichten: Der Blog

Für alle Interesssierten, hier die weiteren Planungen für den Blog:

- Jester's Door: Bis Ende Januar noch mindestens zwei neue Folgen, beide schon in der Pipeline. Hätte auch große Lust, eine "Jester's Door" Kneipenlesung zu machen, Interessenten einfach melden! Schon was mit Sonderfolgen im Kopf...

- EU-Blog: Ein weiterer Blog kommt in den nächsten Wochen, ist eigentlich schon längst fertig. Da zeitlich immer sehr aufwendig, strebe ich jetzt einen zweimonatigen Rhythmus an.

- Nach Überarbeitung werden auch einige ältere Kurzgeschichten eingestellt, alltägliche und politische Betrachtungen sollen häufiger kommen...

- Eine Leseprobe meines ersten Romans "Stadt der Schatten" soll es auch bald zu lesen geben, bis Ende Februar müsste das was werden. Wenn es noch Verleger gibt, die nicht nur Kochbücher oder rassistische Propaganda à la Sarrazin verlegen: Bin da für Angebote offen.

Freue mich auf das Jahr, und noch viel mehr auf Feedback. Dafür gilt: Kommentare sind erwünscht, Kritik wird grundsätzlich zugelassen, ist aber nicht wirklich willkommen, Vorschläge sind immer willkommen, gute Vorschläge werden geschätzt, Angebote von Verlegern sind erwünscht, Einladungen zu Lesungen werden gern angenommen, Geldspenden bitte in kleinen Scheinen in eine Lidl-Papiertüte stecken und auf weitere Instruktionen warten...

Also, freut Euch auf mehr, oder aufs Meer, ganz wie ihr wollt... oder folgt mir auf Twitter: http://twitter.com/starkerkaffee

Prost Kaffee!

1
Jan
2011

Jester's Door: Der göttliche Kater

Es war der Neujahrsabend. Ich hatte Silvester natürlich wieder zu viel getrunken, und auch zwei Kopfschmerztabletten am Morgen halfen nicht. Am frühen Abend kämpfte ich mich schließlich aus dem Bett, zwängte mich in meine Klamotten und suchte Ablenkung von meinem hämmernden Schädel. Also schleppte ich mich mühsam zum Jester's Door. Dort eingetroffen, sah ich sofort, dass die meisten der anwesenden Gäste ebenfalls unter den Nachwirkungen der Silvesternacht litten. Ich schlich zur Theke und bestellte ein großes Bier. Jens und der Timemaster standen mit dunklen Augenringen am Ausschank. Der Jester war noch nicht aufgetaucht, die Punks hingen vermutlich über der Toilette - lediglich die beiden Schachspieler saßen wie immer unbeweglich vor ihrem Brett, während ihre Getränke schal wurden.

Auf der Bühne schraubten die Mitglieder der BAND an ihrem Set herum, wankten aber erheblich hin und her und sahen insgesamt noch fürchterlicher aus als sonst. Unter dem üblichen Plakat, das 'The Worker's Voice' - so hieß die BAND - ankündigte, war ein neues, zittrig beschriebenes Banner angebracht. Mit etwas Mühe konnte ich es entziffern: "Oh god of hangovers, where are you?" Hmm, entfernt hatte ich eine Idee, was gemeint sein konnte. "Na, hast wohl auch den falschen Göttern geopfert. Du siehst ja furchtbar aus." Der Jester stand hinter mir und lachte. Mit einiger Anstrengung drehte ich den Kopf und schaute ihn an. "Jaja," schrie er grinsend, "ich habe den ganzen Abend auf den 'Oh god of hangovers' getrunken, und mir geht es super." Bei den letzten Worten änderte sich seine Gesichtsfarbe und er rannte mit vorgehaltener Hand auf die Toilette. Alle anderen lachten lauthals, hörten aber schnell damit auf, da es einfach zu sehr in den Köpfen dröhnte.

Unterdessen war Jens zu mir rübergekommen und zeigte auf einen der größeren Tische neben den beiden Schachspielern. "Wir haben gleich 'ne Scheibenwelt-Runde, dat hilft garantiert gegen den Kater!". Der Timemaster kam auch gleich dazu: "Jo, wir lesen Pratchett und trinken auf den 'Oh god of hangovers'. Dat hat noch immer geholfen." Ich begleitete den Timemaster zum Tisch, während Jens weiter die Bar schmiss. Wir setzten uns und der Timemaster begann, aus einem Scheibenweltroman vorzulesen, und nach jedem Toast, dem wir dem 'Oh god of hangovers' widmeten, übernahm ein anderer das Lesen. Das konnte allerdings ziemlich schnell gehen, denn wir hatten uns ziemlich viele Trinkgründe einfallen lassen: Die Erwähnung der Unseen University, das Auftreten des TODs, etc.

Neben den üblichen Verdächtigen - der Jester war vom Klo zurückgekehrt und bei solchen Trinkspielen natürlich ganz in seinem Element - waren auch drei junge Frauen am Tisch, die ziemlich übernächtigt aussahen. Neben mir saß Astrid, eine Blonde Anglistikstudentin mit kurzen Haaren, Nasenpiercing, ganz alternativ gekleidet trug sie ein Blümchenhemd unter der aufgeschlissenen Jacke. Nach einer Weile löste Jens den Timemaster ab, und es wurden neue Trinkregeln aufgestellt. Ich kam ein wenig mit Astrid ins Gespräch, und sie war mir nicht unsympathisch. Allerdings war ich nicht mehr wirklich nüchtern und fürchtete ob meiner zunehmenden Artikulationsschwierigkeiten einen eher unvorteilhaften Eindruck zu hinterlassen. Aber sie schien das nicht zu stören, war sie doch mindestens genauso angetütert wie ich. Wenigstens hatte der Alkohol die Kopfschmerzen für den Rest des Abends beiseite gespült, so dass ich mich wieder halbwegs normal bewegen konnte.

Nachdem das erste Kapitel durch war, beendeten wir die Aktion, da die meisten mittlerweile Schwierigkeiten hatten, mehr als drei Wörter flüssig auszusprechen. Wir waren uns einig, dass die ganze Aktion ein voller Erfolg war, denn niemand litt mehr an den folgen des Silvesterkaters. Ich setzte mich mit Astrid an einen der anderen Tische und begann eine intensive Diskussion über 'Warten auf Godot', wenn ich mich richtig erinnere. Während Jens und der Timemaster immer wieder verschmitzt grinsend neue Getränke lieferten, garniert mit Fragen wie: "Und? Godot schon da gewesen?" oder "na, ihr wartet aber lange". Ich war mittlerweile wieder so voll, dass ich einige dieser Kommentare gar nicht verstand und auf Kaffee umstieg. Es sollte eine lange Nacht werden...

31
Dez
2010

Jetzt aber!

Geschafft. 2011. Mein Jahr kommt! War das letzte Jahr noch irgendwie, nun ja, unbestimmt oder schlechter, wird 2011 anders. Ganz anders. Keine Neujahrsvorsätze mehr, nein, dieses Mal muss sich das Jahr ändern, nicht ich. Punkt. Keine ohnehin kaum einzuhaltenden Selbstbeschränkungen, jetzt bin ich dran. Ich verändere - und schreibe meine Geschichte. Ich stellte ja schon fest, dass unsere Generation noch keine Geschichte geschrieben hat. Ich fange an und schreibe meine. Unbeirrbar, meine, die etwas andere Geschichte. Wir müssen endlich unseren Weg gehen - denn bislang waren wir wie Lemminge, die ahnen, dass der Weg in den Abgrund führt. Robert Frost schrieb einst:

"Two roads diverged in a wood, and I -
I took the one less travelled by,
And that has made all the difference."

Ich weiß nicht, welchen Weg meine Generation gehen wird. Ich gehe nun meinen Weg, auf unbekannten Straßen. Es ist befreiender, etwas neues zu wagen, als sich auf ausgetretenem Pflaster an Unwichtigem abzuarbeiten. Wie soll sich etwas zum Besseren ändern, wenn nie Alternativen gedacht und gegangen werden? Für diese Alternative muss man kämpfen, sie schaffen, kreieren. Seine eigene Alternative, aber auch die gesellschaftliche. Denn nur wenn man die Wahl hat, kann man klare Entscheidungen treffen.

27
Dez
2010

Eine Geschichte über meine Generation?!

Erst kürzlich postete ich in Anlehnung an Rainald Grebe den Satz "Ich schreibe eine Geschichte über meine Generation und komm einfach nicht weiter." Die Antworten darauf haben mich zu folgendem Text inspiriert:


Ich schreibe eine Geschichte über meine Generation und komm einfach nicht weiter. Woher kannte ich diesen Satz? Seit Wochen saß ich nun vor dem Bildschirm, der stets bockig war und weiß blieb. Eine Geschichte über meine Generation wollte ich schreiben. Etwas, das sie ausmachte, mich ausmachte, uns alle verband. Doch was war das? Ich steckte fest, oder war das unbeschriebene Blatt Papier „unsere Generation“? Mußten wir unsere Geschichte erst noch erleben?

Ich wälzte Bücher, sah mir Filme an. Ging geschichtliche Daten durch. Den Fall der Mauer als Teenager erlebt. Hat es uns verändert? Wir haben 16 Jahre Kohl er- und überlebt. Hat es uns geschädigt? Aus den Tiefen der Ignoranz stieg George W. Bush auf. Was sollte uns das sagen? Ist die Geschichte unserer Generation, dass wir noch die größten Umwälzungen, die dümmsten Machthaber und die schlechteste Politik mit stoischer Gleichmütigkeit über uns ergehen lassen? Ist der Beitrag meiner Generation, sich eines Beitrages zu enthalten?

Ich gehe durch die Straßen, höre Musik und schaue in unsere Gesichter. Leere. Ziellosigkeit. Wenn überhaupt sind wir die Generation, die Aufräumen darf. Reparieren. Wir sind die Generation der Reparateure. Atommüll, Klimawandel, Terrorgefahr, Sozialsystem, Gesundheitsversorgung, Integration, das Finanzsystem, alles renovationsbedürftig oder komplett abrissreif. Die letzten Generationen kippen uns ihren Müll vor die Füsse, und wir dürfen unseren Kindern diesen Mist erklären. Deshalb zeugen wir auch so wenige, denn wer will so was schon erklären oder gar rechtfertigen?

Nein, unsere Generation ist kein unbeschriebenes Blatt. Wir sind das vergessene Heft, mit Eselsohren und Kaffeeflecken bedeckt, und warten darauf aufgeschlagen zu werden. Vielleicht wird das nie passieren. Wenn niemand die Kraft findet, die erste Seite selbst aufzuschlagen, wird diese Generation nichts prägen. Nur geprägt worden sein. Zugerichtet. Nach dem Bilde der letzten Generationen. Die Form stimmt, der Inhalt ist belanglos. War das unsere Generation?

Wir fügen uns in ein System ein, das nicht das unsere ist, nicht das unserer Zeit. Wir merken, die Jacke passt nicht, aber wir haben es lieber unbequem als uns aufzulehnen. Banken verbrennen unsere Zukunft, wir betreiben private Altersfürsorge. Ist das unserer Generation? Musikhörend durch die Welt gehen und sie spurlos wieder verlassen? Als wären wir nie da gewesen?

Bei den Wikingern galt der Nachruhm als das Größte, was ein Krieger erreichen kann. Welchen „Ruhm“ häufen wir in der Gegenwart an? Die Braven werden vergessen sein. Das wäre der Refrain unserer Generation. Bis jetzt. Denn noch habe ich Hoffnung, fangen wir vielleicht erst an? Die besten sterben jung, aber jung sterben heißt heute doch nur nicht 100 zu werden. Das birgt noch die Chance auf über 60 Jahre Revolution. oder Rebellion. oder Veränderung. oder... weniger.

Langsam gehe ich durch den Park. Wie meine Generation laufe ich angepasst hindurch, keine Experimente. Vielleicht ist es auch einfach schwer geworden zu provozieren, vielleicht ist unsere Generation dafür schon zu alt. Aber handeln wird sie müssen, denn bald tragen wir diesen maroden Laden. Grübelnd laufe ich weiter, warum fällt mir einfach sonst nichts ein. Da, eine Textzeile: „Ich schreibe ein Lied über meine Generation und komm einfach nicht weiter“. Es geht mir da ganz ähnlich. Nur anders.

24
Dez
2010

Jester's Door Special: Der wirkliche oder nicht-weihnachtliche Heiligabend

Es war mal wieder das „danach“, das zwangsläufig die Frage „Was nun?“ aufwarf. Heiligabend. Wie jedes Jahr nach Familie, Festtagsbraten, Bescherung, also all den guten und schlechten Weihnachtsbräuchen, machte ich einen Spaziergang. Scheinbar ziellos. Doch dieses Jahr hatte ich ein Ziel, die Hoffnung, den vermutlich einzigen weihnachtsfreien Ort in dieser Stadt zu finden. Das Jester‘s Door.

Ich atmete noch einmal tief ein, bevor ich das Jester‘s Door betrat. Auf den ersten Blick bestätigte sich meine Hoffnung. Keine Spur von Weihnachtsdekoration, die BAND war beim Aufbauen. Hinter dem Tresen stand der Timemaster, der Jester hielt einem unbedarften Opfer einen Vortrag über Big Country, nur der Billardraum war komisch verhängt. Ich ging an den Tresen und bestellte ein Bier. „Na, auch ma‘ wieder hier? Zu Weihnachten kommst wieder angekrochen. Wünsch mir jetzt bloß kein Frohes Fest!“ wobei der Timemaster auf den Thorshammer deutete. Etwas zerknirscht nahm ich das Bier entgegen. „Was ist denn im Billardraum los?“ lenkte ich ab. „Dat is unsere Solidaraktion. Wir lassen die Obdachlosen unseres Viertels immer zwischen dem 21.Dezember und Neujahr hier übernachten. Dann bringen die Leute ihre alte Kleidung und Essen vorbei, und einigen besorgen wir in der Zeit auch einen Wohnplatz oder Arbeit. Die Sozialarbeiter haben für so wat ja kaum noch tid.“

Ich war ehrlich überrascht. Die meisten der Gäste des Jester‘s waren doch selbst kaum in der Lage sich über Wasser zu halten. Aber just in diesem Moment kam einer der Punks mit einer Ladung Kaffee unter dem Arm durch die Tür und gin in den Billardraum, wo er sonst um Autogramme obskurer Musiker spielte. Ich folgte ihm und sah mich um. Jens stand an einer Art Gulaschkanone und verteilte Suppe, ein pensionierter Lehrer half einem Obdachlosen beim Ausfüllen eines Formulars, und einige andere wärmten sich an der Heizung. „Moin, lang nicht gesehen. Die Spenden dose ist da drüben, und Du tust da gefälligst einen Schein rein, kloar?!“ wurde ich von Jens begrüßt. Solchermaßen instruiert spendete ich, unter Jens‘ Blicken dann auch einen zweiten Schein. „So ist‘s recht.“ grummelte er, und setzte frischen Kaffee auf. Am Kaffeeausschank erkannte ich den lokalen Abgeordneten. Jens raunzte mir zu: „Glotz nich, pack an. der Sozi da braucht noch Hilfe“ und deutete auf einen Studenten, der gerade Mettbrötchen schmierte.

Nachdem ich wenigstens dreizig Brötchen geschmiert hatte, ging ich zurück in den Barraum, denn die BAND begann ihr Konzert. Der etwas übernächtigt dreinblickende Bassist begann mit dem Intro, während der Rest von „The Worker‘s Voice“ düster ins Publikum blickten. Nach dem Eröffnungssong, der gleiche wie an jedem anderen Abend auch, gröhlte der Sänger ins Mikro: „Heute ist christliche Weihnacht. Der Tag der Heuchelei und der heilen Welt. Aber wir heucheln hier nicht. Wir spielen. Ehrliche Musik.“ Gegrummel im Publikum, vereinzelte Kommentare wie „naja“ oder „ehrlich und schlecht...“, die der Sänger ignorierte. „Also, weiter mit Arbeiterliedern“. So spulten sie ihr normales Ritual ab, mit den bekannten Höhepunkten „Worker‘s Welfare“ und dem mitternachtlichen Intonieren der Internationalen.

Erst danach änderte sich das Programm, der Jester wurde auf die Bühne gebeten. „Liebe Freunde, Genossen und Genossinnen, Kollegen und Kolleginnen, dies hier ist das Gegenprogramm zum Kommerz. Dem Kommerz des Weihnachtsfests, der Kommerzialisierung der Musik. Wir sind die Insel, die sich nicht kaufen läßt. Also: Da drüben sind die Leute, die unsere Solidarität brauchen, laßt uns Ihnen helfen!“ Dabei zog er seine Jacke aus, dann sein Hemd. „Seht, ich gebe mein Hemd für meine Mitmenschen. Und was verlange ich dafür?“ Die Leute lachten, denn die BAND spielte die ersten Töne von „Script for a Jester‘s Tear“. Der Jester sang das Lied, nach Jahren der Übung ziemlich gekonnt, während die anderen einen Sack rumgehen ließen, in den Geld, Klamotten oder ähnliches geworfen wurden.

Der Jester endete, mit Tränen in den Augen. Ich fragte ihn später, ob dies jedes Jahr zu Weihnachten so sei, und er antwortete: „Ja, es ist der einzige Abend im Jahr, an dem ich das Jester‘s Door verlasse und zufrieden einschlafe.“ Ich würde am nächsten morgen wieder kommen und noch einige alte Klamotten vorbeibringen. Einer der Obdachlosen sollte mir bei der Gelegenheit erzählen, wie dankbar er diesen Menschen sei, bevor er auf der Bühne alte Wikingersagen vorgetragen wurden. Weniger Weihnachten, mehr Jester‘s Door würde ich mir sagen.Keine Weihnachtsgeschichte, keine altehrwürdigen Rituale. Und doch hatte ich verstanden, worum es im Leben gehen sollte. Oder im Jester‘s Door ging. Jeden Tag. Nur anders.

20
Nov
2010

Zeitungslektüre

Berlin. Regen. Terrorwarnungen. Ich sitze in einem Café in Zentrum, heute Abend werde ich die Stadt wieder verlassen. Fühle mich ausgelaugt. Diese Stadt ist immer im Werden, nie wirklich fertig, nie im Sein. Das schlaucht. Keine Ruhe nirgends. Kaum einmal die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, entspannt, unbeobachtet. Überall fühle ich mich auf dem Prüfstand, nirgends mag ich mich fallen lassen. Wartend auf meine Abfahrt habe ich den Einkaufsbummel sausen lassen, so richtig geeignet ist Berlin dazu ohnehin nicht. Viel Kram, wenig Substanz, und ansonsten alles, was es woanders auch gibt. Nach einigem Umherstreifen habe ich schließlich dieses Café gefunden, fußläufig zur Museumsinsel - könnte ja sein, dass ich mich noch bilden will. Mit Freude wurde meine Bestellung, "Einen großen Kaffee, schwarz", nicht mit einer Litanei an Gegenfragen beantwortet. Mittlerweile habe ich diesen ganz anständigen Kaffee geleert, mich etwas erwärmt, und schaue hinaus in den Regen. Was macht man mit seiner Zeit im Berliner Regen? Richtig. Lesen.

Ich hole mir meinen zweiten Kaffee, nehme mir die Zeitung vor. Die Schlagzeilen beschäftigen sich mit vermeintlichen Terroranschlägen und ergehen sich ansonsten in deutscher Selbstbeweihräucherung. Seitdem Berlin Hauptstadt ist, scheint sich alles nur noch um die eigenen nationalen Befindlichkeiten zu gehen - oder dass, was Politiker und Journalisten im Regierungsviertel dafür halten. Kein Platz für deutsche Selbstkritik, der "Aufschwung" wird gefeiert. Die Armen werden verschwiegen, der nicht existente Mindestlohn wird verschwiegen, das Ausspielen der Angst vor Arbeitslosigkeit - verschwiegen. Stattdessen Terrorangst, unsinniges Entertainment und bunte Statistiken zum sagenhaften deutschen "Wachstum". Wenn das so weiter geht, stößt das deutsche Ego noch durch die Reichstagskuppel. Mit diesem Gedanken lege ich die Zeitung beiseite, schaue erneut aus dem Fenster. Es regnet weiter, so niedergeschlagen habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Draussen scheint es noch dunkler geworden zu sein. Was für ein Land, und es ist auch noch meins.

Ich nehme meine Jacke, gehe hinaus, den Museen, der Vergangenheit entgegen. Für heute habe ich genug von der aktuellen Weltlage, vom jetzigen Berlin. Das Früher kann ich nicht ändern, nur begreifen. Trost finden, wo das Ist nur Verzweiflung weckt.

18
Nov
2010

Über den Autor

Starkerkaffee ist ein "positiv verrückter" Kaffeetrinker, für den Augenblick in Brüssel gestrandet. Er schreibt bei Nacht, massiert am Tage und lebt irgendwo dazwischen. Einige seiner Kurzgeschichten wurden unter dem Pseudonym "Jens Festmann" veröffentlicht, und als solcher nahm er auch zweimal an den Kieler 24h-Lesungen teil. Politisch weit links, Demokrat und gerecht bis zur Schmerzgrenze, blickt er hinter die Fassaden seiner Existenz.

Sein Humor ist so schwarz, wie der Kaffee, den er trinkt. Seit der Jugend umgibt er sich mit Narren, die in vielen seiner Geschichten wieder auftreten. Sollte der geneigte Leser oder die geneigte Leserin in einem Kaffee jemanden treffen, der seinen Kaffee "schwarz wie seine Seele" nimmt, so frage man nach dem Namen. Der Autor wird in der Regel "starkerkaffee" antworten. So verträgt er einiges, und ist immer auf Eure Meinung gespannt - denn die ist ihm wichtig, und so läßt er in seinen EU-Blogs gerne auch den Gesprächspartner zu Worte kommen. Urteilen wird die Zukunft, die Realität und die Leser...

15
Nov
2010

Abgelegt

Es hallt in meinem Kopf, immer wieder höre ich das Einhämmern auf die Tasten. Der Sachbearbeiter vor mir schaut mich nicht an, starrt nur auf seine Tastatur, in die er mühsam und mit größtmöglicher Krafteinwirkung einschlägt. Jede meiner Antworten wird eingegeben und krachend mit der Eingabetaste abgeschlossen. Die ganze Situation kommt mir unwirklich vor, wie durch einen Schleier nehme ich den Raum wahr, höre meine Stimme nur dumpf in meinem Kopf, wie unter Wasser.

Er fragt nach meiner Ausbildung, meiner Berufserfahrung, meinen Krankheiten. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon hier sitze, ich kann mich nicht erinnern. Jetzt scheint die Fragerei ein Ende zu haben, der Sachbearbeiter starrt auf seinen Bildschirm, hat die Tastatur aus den Augen verloren. Seine Stirn verzieht sich, er drückt einen Knopf an seinem Telefon, innerhalb von Sekunden öffnet sich die Tür zum angrenzenden Büro. Eine Frau in einem eng geschnittenen Hosenanzug tritt ein, der Sachbearbeiter nickt in meine Richtung und sie weist mich an, ihr zu folgen. Auf Nachfrage wird mir erklärt, dass sie meinen Fall nun übernehmen werde. ich stehe auf, folge ihr. Ich fühle mich unsicher, die ganze Umgebung wirkt nach wie vor unwirklich, aber irgendwie bedrohlicher. Die Frau hat einen sehr strengen, geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck aufgesetzt - nein, sie hat ihn überhaupt nicht geändert.

Sie weist mir einen Stuhl zu, ich setze mich vor ihren Schreibtisch. Sie schaut mich an, während ein Drucker hinter ihr Papiere ausspuckt. "Sie sind ein Problemfall". Pause. "Mit Ihnen ist einfach nichts mehr anzufangen. In diesem Land braucht Sie niemand, und daher wird Ihnen auch keine Unterstützung gezahlt." Ihr Ton ist eher sachlich als vorwurfsvoll, ich bin eine reine Nebensächlichkeit. Ich schlucke, bevor ich widerspreche - immerhin habe ich einen Studienabschluss, bin immer aktiv gewesen und mir meiner Rechte sicher. Eigentlich.

Denn trotz meines Einspruchs lächelt die Mitarbeiterin der Arbeitsvermittlung nur gelangweilt, es treten zwei Männer in dunklen Anzügen ein, die sich neben mir postieren. Verunsichert schaue ich zu ihnen hoch, während sie in neutralem Ton erklärt: "Für Geisteswissenschaftler haben wir in dieser Gesellschaft keine Verwendung mehr, und schon gar nicht für Leute wie Sie, die auch noch Gerechtigkeit verlangen. Menschen, die keinen Reichtum erzeugen, brauchen wir hier nicht, und daher haben Sie auch keinen Anspruch darauf, dass wir Sie weiter dulden. Sie generieren kein Wachstum, Sie sind überflüssig. Seien Sie froh, dass wir Sie nun gratis entsorgen. Sie werden jetzt verschwinden, und wir werden dafür sorgen, dass niemand jemals nach Ihnen zu fragen wagt! Sie werden abgelegt, wie Ihre Akte. Einfach eine unbedeutende Ablage." Damit reissen mich die beiden Anzugsträger von dem Stuhl und zerren mich zum Hinterausgang des Gebäudes.

Ich bin zunächst zu schockiert, fassungslos, um mich wirklich zu wehren. Mein Gehirn kann diese Ungeheuerlichkeit nicht fassen, ich war in dieses Gebäude gekommen, um bescheiden um Hilfe zu bitten, und nun werde ich umgebracht, entsorgt, wie Müll. Panisch schlage ich um mich, schreie. Ein Schlag ins Genick, ein weiterer in den Magen, ich kämpfe wie von Sinnen. Ich spüre, wie meine Hand auf etwas Kaltes einschlägt, wache auf, fühle den kalten Boden unter mir, schweissnass. Ich wälze mich herum, bin völlig platt. Weiß nicht, wo ich bin. Panik, Angst. Ich erkenne nichts in der Dunkelheit. Langsam arbeite ich mich hoch, finde den Lichtschalter. Durchatmen, mein Schlafzimmer. Alles wie immer. Hatte ich das nur geträumt? Oder hatte ich eine Gedächtnislücke? Gehe zum Schreibtisch, versuche mich an den letzten Tag zu erinnern. Ein Blick auf den Terminkalender reicht, dort steht für heute, 11:30 Uhr: ARGE. Mir wird schlecht, ich zittere. Die Angst kehrt wieder. Jetzt real.
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