Narrengeschichten

20
Mai
2011

Gestrandet

Widerwillig betrat ich das Café, eine jener Kaffeeketten, die man eigentlich nicht betreten sollte. Aber sie haben freies Internet, ein eindeutiger Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Merke: Ein Café ohne WLAN eröffnen ist heutzutage eine Scheissidee. Nun gut, ich begebe mich also mit schlechtem Gewissen in den Laden, der Kaffee ist dann auch nur halb so schlecht, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ich blicke aus dem Fenster auf die Mönckebergstraße, folglich muss ich gerade auf Zwischenhalt in Hamburg sein. Ich erinnere mich dunkel, habe vor einigen Minuten meine Einkäufe erledigt, nun habe ich Zeit. Wie so oft auf Reisen, Zeit am falschen Ort, würde lieber Richtung Heimat fahren, ankommen, endlich ankommen.

Dabei geht es immer weiter, stets war das Ankommen nur ein Zwischenstopp, meine Gedanken schon immer halb am nächsten Ort, selten waren Raum und Zeit eine Einheit. Mein Geist bereitete schon seit Stunden alles vor, was es nach der Ankunft zu erledigen gab, mein Körper war gefangen, auf der Reise, er fuhr quasi meinen Gedanken hinterher. Eigentlich ein Unsinn, sich nie auf das zu konzentrieren, was gerade vor einem lag, es zu geniessen. Gut, das Reisen selbst war zumeist nicht sonderlich genussreich. Trotzdem gab es diese Momente, wenn ich mich darauf besann, dass ich in diesem Zug saß oder in diesem Augenblick hier, in diesem Café, dass man strandete, irgendwo im Strom von Raum und Zeit, plötzlich bei sich war, ganz und gar eine Einheit bildete. Und Godot mich für eine kurze Sekunde anlächelte,, um hinter den Wolken zu verschwinden.

War das nicht das wahre Glück, einfach mal ganz bei sich zu sein, zu schreiben, sich zu besinnen? Ich weiß es nicht, aber zu selten sind diese Augenblicke zu kosten, wenn man allein ist, allein in der Welt, allein im Café, mit einem anderen Menschen, einem Freund, einer Geliebten, allein in der Nacht, wenn ich in einem Zug durch Europa rolle, nur die Musik meine Seele erfüllt, sie streichelt. Dann bin ich ein Teil der Nacht, die Musik ein Teil von mir und die Welt ist in diesem Moment gefangen. Wie ich sie jetzt einzufangen suche, in diesen Texten, nur einen Hauch dieser Ruhe, die mich zu selten umfängt. Denn ich weiß, diese Momente gehen zu schnell vorbei, sie sind flüchtig. Wir schauen stets in die Zukunft, übersehen die Gegenwart und arbeiten in der Vergangenheit. Ich weiß, wenn ich diesen Text geschrieben habe, bin ich wieder in der Zukunft, im Geiste. Und mein Körper läuft hinterher. Bis ich ankomme. Für einen winzigen Moment. Gestrandet. Im Irgendwo.

28
Mrz
2011

Nachtschicht

"Nachts um halb zwei, wenn die Dunkelheit Deine Seele befreit", dachte ich bei mir und summte ein Lied vor mich hin. Es war dieses süße Gefühl, allein mit mir am Schreibtisch zu sein. Ich und die Tastatur. Wie sehr die Nacht doch die Welt veränderte: Am Tage die Folter des weißen Blattes, in der Nacht der angenehme Rausch des kreativen Genies. So flossen die Zeilen dahin, etwas Hintergrundmusik, irgendwo in der Nachbarschaft Geschlechtsverkehr, mittellaut, ab und an die Sirenen eines vorbeifahrenden Notarztwagens, sonst war Ruhe. Ich ging auf im Schreiben, Sein und Handeln waren eins. So saß ich da und schrieb, unterbrochen nur von der einen oder anderen Tasse Kaffee. Ein Kapitel später stand ich am Fenster und blickte auf die wenigen Lichter der Stadt, in den Park. Wie inspirierend und beruhigend ist doch alles, was ich nicht sehen kann. Dieses Gefühl der Ruhe, des Friedens dürfte nie vorübergehen. Warum musste es Nacht werden, bevor ich in Ruhe arbeiten konnte? Ich wusste es nicht, genoss den heißen Kaffee und schrieb völlig furchtlos weiter.

Da klingelte das Telefon. Eine Freundin, ich schaute auf die Uhr, es war 2:12 Uhr . Wie so oft hörte ich mir ruhig ihre Probleme an. Sie war mit irgendeinem Bernd im Bett gelandet, sie wollte mehr, er nicht. Sehr überraschend. Das ging mindestens einmal die Woche so, natürlich nicht mit dem gleichen Bernd, es konnte auch mal ein vermeintlicher Dieter sein. Diese Anrufe waren normalerweise schwer zu ertragen, denn ich wäre schon seit einiger Zeit gern ein solcher Bernd gewesen, auch für mehr als eine Nacht. Ich war mir sicher, dass sie das wusste, was doch stark an meinem animalisch-männlichen Ego nagte. Ich stand ihr trotzdem bei, spendete Trost. Was ich so mache. Bei jedem, Tag und Nacht, ich heitere Menschen auf und nahm ihnen ihre Sorgen - und legte sie in meinem Inneren ab. Ich war ein Narr. Aber heute Nacht war es anders. Ihre Sorgen gab ich an die Schatten in den Ecken weiter, ließ sie dort, nahm ihren Dank an und legte auf. Beschwingt lehnte ich am Fensterrahmen, "und ich hab' wieder nich', die Welt gerettet" klang es aus den Boxen. Lächelnd sagte ich zu mir: "Ich auch nicht. Ätsch". Ich war mit mir im Reinen. Bis zum Sonnenaufgang, wenn die Lasten der Welt sich wieder auf meine Schultern senken würden. Das war narrensicher.

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Auszug aus "Narrensache"

3
Feb
2011

Gefeiert. Geliebt. Betrogen.

Eine neue Kurzgeschichte, inspiriert von Heinz Rudolf Kunzes "Akrobat". Viel Spaß!
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Die Bühne. Wieder stand er dort oben, allein, hunderte Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Diese Momente, in denen einem niemand helfen konnte, in denen er entweder über sich hinauswuchs oder versagte. Er wußte genau, dass es genug in der Masse gab, die auf seinen Fehler hofften, obwohl sie ihn anschließend stets lächelnd beglückwünschten. Jetzt lauerten sie. Dort unten, wo er sie nicht sehen konnte. Das Scheinwerferlicht blendete ihn, er schwitzte, aber langsam kam die Aufführung in Gang. Meistens ging es dann wie von selbst, auch wenn er vor den Auftritten nie recht wußte, woher er die Kraft nehmen sollte. Nie fühlte er sich so einsam wie in diesen Augenblicken auf der Bühne. Ja, wenn er mittendrin war in der Darbietung konnte es großartig sein, er verausgabte sich, seine Gefühle stiegen auf, Adrenalin und Kreativität pulsierten in seinen Adern. Er berauschte sich an seinem Auftritt.

Szenenapplaus, den er nur am Rande wahrnahm. Konzentration. Kurzes Zögern, nur Sekundenbruchteile in seinem Hirn. Kurze Panikattacken, bis der Faden wieder da war. Dann wieder die gelungenen Sequenzen, wenn er selbst eins war mit der Welt. So verging jeder Abend wie im Flug und laugte ihn doch so aus, dass das reine Stehen zu einer unmenschliche Anstrengung wurde. Wenn einmal der Vorhang fiel, fühlte er sich völlig leer, würde am liebsten auf den Boden sinken. Erschöpft schleppte er sich in die Garderobe. Die Ruhe war seine Rettung, die Oase in der Wüste der Begehrlichkeiten. Nur endlich vor dem Spiegel sitzen, die Maske abnehmen können. Nicht die Show zehrte ihn aus, sondern die Erwartungen, die Beteuerungen, die Verachtung von Kritikern und falschen Freunden.

So stand er vor dem Spiegel, schaute in sein müdes, ausgezehrtes Gesicht. Wieder hatte er mehr gegeben als er körperlich zu leisten vermochte. "Die Show geht viel weiter, als der Kunde begreift". Wahre Worte, die ihn begleiteten, sein ganzes Leben lang. Die Konzentration, die Anstrengung, das Rampenlicht. Am Ende seines Auftritts war es imer das Gleiche: Nur der Beifall gab ihm genügend Kraft, nicht direkt auf der Bühne zusammenzubrechen. Diese totale Leere, hier, in der kleinen Garderobe. Am liebsten würde er sich in solchen Momenten hinlegen und eine Woche nicht mehr aufstehen. Doch da waren die Leute, draußen, warteten auf ihn. Das Publikum, das den Star sehen wollte. Ja, er lebte von ihnen. Aber warum fraßen sie ihn auf? Wollten ihn mit Haut und Haaren verschlingen. "Ein müder Vampir...", ja das war er, und die Blitzlichter der Fotoapparate würde ihn gleich zu Asche zerfallen lassen. Er stand auf, setzte ein Lächeln auf, öffnete die Tür. Der nächste Auftritt, jetzt keine Kunst, nur noch künstlich.

28
Jan
2011

Fernsehtrash

Eine uralte Glosse, geschrieben lange vor dem Dschungelcamp und anderen merkwürdigen Erscheinungen der heutigen Medienwelt - aber der Trend war damals schon deutlich. Also, viel Spaß beim Lesen und das Schmunzeln nicht vergessen! Bierernst wird es erst wieder bei der nächsten Ausgabe des Jester's...

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„Das einzig Gute an den 90ern ist, das sie bald vorbei sind. Genauso wie das gesamte beschissene 2.Jahrtausend.“ Dies waren die Worte meines Freundes, der sich gerade wieder durch das Fernsehprogramm gezappt hatte und nun feststellen mußte, daß sein Kulturpessimismus auf grauenhafte Art und Weise bestätigt wurde. Gewöhnlicherweise pflege ich nicht, mich solchen apokalyptischen Endzeitanalysen anzuschließen - doch die Flut des kulturellen Mülls, der dort zwischen den Werbeblöcken hindurch aus der Flimmerkiste schwappte, bereitete mir Folterqualen und machte die Zurückweisung der Thesen meines Kumpels unmöglich.

Nachdem wir dann zwei Stunden später - vom Wein etwas aus dem Gleichgewicht gebracht - Dialoge aus „Star Wars“ rezitierten, war es schon wieder vorbei mit der kulturellen Herrlichkeit unserer Unterhaltung; und dabei hatten wir heute mit Schiller begonnen, waren dann über Oscar Wilde bei den englischsprachigen Modernisten gelandet, verweilten ein wenig bei T.S. Elliot, gingen dann über zu einer kurzen Diskussion der Bedeutung der Philosophie des 20.Jahrhundert im Hinblick auf die Wahrnehmung der ökologischen Katastrophe und spielten schließlich ein wenig Blechtrommel mit den Ansichten eines Clowns! Aber nein, nun diskutierten wir über die Heilsbotschaft eines Luke Skywalkers und eines Obi-Wan-Kenobis. Und dann klingelte das Telefon. Ich schleppte mich zum Apparat und nahm ab:

„Festmann.“
„Eye, Du verkackter Intellektueller, wenn Du noch einmal aus Star Wars zitierst, dann werd’ ich Dir so die Fresse polieren, daß Du denkst, Du hättest die Macht wirklich mal zu spüren bekommen, klar man?“
Ich antwortete der merkwürdig abgewetzten Stimme am anderen Ende der Leitung:„Klar, find’ ich voll gut, aber wo hast Du das Mikro in meiner Wohnung versteckt?“
„Tja, man, das Mikro ist doch in jedem Fernseher standardmäßig eingebaut. Und wir von der Behörde für die Reinhaltung von Kulturmüll vor dem Einfluß intellektueller Kräfte haben darauf direkten Zugriff. Also man, merk’ Dir für die Zukunft eines, Du Pseudointelligenzbestie: Entweder Schiller oder Trash - beides gibt es nicht, klar?!“
Ich antwortete blitzschnell: „Ok, dann nehme ich doch lieber Trash.“
„Also gut. Aber wehe ich höre Dich noch mal so pseudointellektuell daherquatschen, dann gibt es richtig ärger, wir können schlimmer sein als die GEZ, kapiert? Und noch eins: Immer dran denken: Wir hören alles, HAHA.“

Mit einem ekelhaften Lachen hatte der Bedienstete dieser ominösen Behörde das Gespräch beendet. Ich ging zu meinem Freund zurück und erzählte ihm von diesem äußerst sonderbaren Gespräch. Nun hatte ich ja mit einem spontanen Gefühlsausbruch meines Freundes gerechnet, mit Anspielungen auf Orwell und das magische Jahr 1984, auf eine schöne und vor allem neue Welt der gezielten intellektuellen Vermüllung der Bevölkerung, mit großen Ansprachen an die Widerstandsregungen der Gesellschaft gegen diese dreiste staatliche Bevormundung, mit Monologen, die den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes rauf und runter zitieren würden - doch nichts von alledem. Mein Kumpel sagte nur: „Na gut, Du Idiot, wegen Dir können wir also nur noch über Trash reden - nie wieder Schiller. Was ist Dir da eigentlich eingefallen?“
„Nun“, antwortete ich, „ich hasse nichts mehr als immer dasselbe lesen oder sehen zu müssen. Vernünftige Kultur wird leider nicht mehr produziert, dafür aber umso mehr Trash. Und nebenbei laß’ Dir eins gesagt sein: ‘Wer ist der größere Tor? Der Tor, oder der Tor der ihm folgt?’ “

25
Jan
2011

Trennlinien

In dieser Rubrik nun einige ältere Kurzgeschichten, die ich nun -endlich- überarbeitet einstelle.
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Kurt stand vor der türkischen Teestube und betrachtete die Plakate im Schaufenster. Wie schlecht man doch seine Umgebung kennt, dachte er bei sich. Da war von Veranstaltungen die Rede, von denen er noch nie gehört hatte, und von Orten, die er noch nie besucht hatte. Dabei fanden sie ganz in der Nähe statt, ja teilweise in der nächsten Straße. Auch in der Teestube war er nie gewesen, dabei war sie nur zwei Häuser von seiner Wohnung entfernt. Oft hatte er schon vor diesem Schaufenster gestanden, doch nie hatte er sich getraut, hineinzugehen. Irgendetwas hielt ihn zurück. Dabei würde er jetzt gerne etwas Warmes trinken. Einen Kaffee vielleicht, wenn es den neben dem Tee auch gab. Mit Tee konnte Kurt nämlich nichts anfangen.

Irgendwie, fand er, war das schon eine komische Situation, denn wahrscheinlich lebten die meisten türkischen Bewohner seines Stadtteils länger hier als er, der erst vor einem Jahr in diese Stadt gezogen war. Er als Fremder traute sich nicht, mit den anderen Fremden zu reden. Fremde leben voneinander getrennt, Einheimische leben von allen Fremden getrennt – und wer lebte zusammen?

Er stand da, las und fror. Kalt war es geworden, doch er wollte nicht allein zu Hause sitzen. Reden wollte er, und nur zu gerne würde er die Geschichten der Menschen hören, wo sie herkamen, wen sie in der Heimat zurückliessen und was sie hier in Deutschland hielt. Doch er konnte sich nicht überwinden, seine Beine wollten sich nicht bewegen. Wie angewurzelt stand er da. Dann öffnete sich die Tür. Der Wirt kam heraus und sah ihn an. „Ist alles in Ordnung? Sie sehen ja so durchgefroren aus. Wollen sie nicht hereinkommen und einen heißen Tee trinken?“ Kurt überlegte kurz um dann zu antworten: “Gerne. Aber haben Sie vielleicht auch Kaffee?“ Der Wirt lächelte und winkte ihn herein.
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