Jester's Door

3
Nov
2011

Jester's Door: Auferstehung

"Es war naß. Es war kalt. Es war Kapitalismus." Ich schmunzelte. Das Jester's Door war mit der Zeit gegangen. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass sich hier etwas ändern würde. Da lag ich wohl offenbar falsch. Ich öffnete die Tür, und der unverwechselbare Geruch beruhigte mich. Nirgends roch abgestandenes Bier authentischer als hier.

Ich ging zum Tresen hinüber, wo ein Becher dampfenden, schwarzen Kaffees auf mich wartete. Der Timemaster stellte gerade die Uhr, drehte sich zu Jens um und rief: "Ne, mit der Zeit stimmt alles. Der muss durch irgendein Loch im Raum gefallen sein." Ich lächelte. Lange war ich nicht mehr hier gewesen, und dass war die angemessene Begrüssung. Jens schaute mich an: "Komisch, der Kaffee ist immer noch heiß. Den habe ich doch vor Monaten dahin gestellt - oder nich?" Ich stammelte was von "Schön Euch zu sehen" und "tut mir leid", legte einen Geldschein in die mir vorwurfsvoll vor die Nase gehaltene Spendendose, auf der "Occupy now!" und "Helft den Opfern des Finanzkapitalismus" stand. Der Timemaster nickte mir zu, und wir prosteten uns mit unseren Kaffeebechern zu. "Wann kommt der Jester?" fragte ich, und schaute dabei über die Köpfe der beiden schachspielenden Alten auf die Demonstrationsaufrufe. "Der kommt jetzt meistens etwas später. Seit er wieder über Bankenzusammenbrüche berichten darf, trinkt er auch nicht mehr sinnlos" meinte Jens - und zeigte auf das neue Plakat hinter der Bühne, auf dem ein zusammenbrechender Bankenturm zu sehen war. lächelte in meinen Becher hinein und sog dieses wohlige Gefühl auf, am richtigen Ort zu sein.

Ich stand auf, war froh mich nicht weiter für meine Abwesenheit rechtfertigen zu müssen und schaute mir die anderen Gäste an. Viele bekannte Gesichter, vor allem bei den Punks am Billardtisch. Die Bärte der beiden Schachspieler schienen gewachsen zu sein, aber mit Bestimmtheit ließ sich das nicht sagen. Ein Mitglied des legendären "Sozialistischen Debattierkreises Nord" berichtete mir, dass die BAND tatsächlich ein neues Lied mit dem Titel "Einstürzende Börsen" im Repertoir habe. Ich lächelte, war gespannt auf den Jester und den Auftritt von Worker's Voice. Siegfried, ein anderes Mitglied, fragte scherzhaft, ob ich denn nicht erst z Ostern hätte auferstehen wollen. Ich grinste und meinte nur, als Heide sei ich an solche Termine ja nicht gebunden. Ich hoffte jedenfalls, dass es nicht die einzige Auferstehung des Abends bleiben würde...

5
Mai
2011

Jester's Door: "Art"gerecht

Es war wieder einer jener Abende, an denen im Jester's Door wieder alles drunter und drüber ging. Ich hatte mich mit meinem Kaffee zu Lisa gesetzt, einer Philosophiestudentin im 23. Semester, die ihre Magisterarbeit zum Thema "Philosophische Grundlagen der postmodernen Demokratie im Lichte einer kapitalistisch-marktorientierten Medienlandschaft: Herrschen die Medien durch das Volk?" schrieb. Sie recherchierte bereits seit zwei Jahren, und die Tatsache, dass sie jeden Abend im Jester's Door weitere abstruse Anregungen bekam, trug nicht gerade zum Fortschritt des Projekts bei. Ich hatte ihr gerade geraten, einfach mal anzufangen und sich zur Prüfung zu melden, als sich eine Gruppe von ca. 10 Leuten am Tresen versammelte. Sie gingen nach kurzer Begrüßung wild diskutierend von Wand zu Wand und wedelten mit den Armen herum, während Jens und der Timemaster stets und völlig stoisch mit dem Kopf schüttelten. Offenbar wurden irgendwelche Vorschläge zum Umbau oder zur Neudekoration der Kneipe gemacht, und die beiden Kneipiers waren davon gar nicht begeistert.

Ich fragte Lisa, ob sie was mit diesem Auftritt anfangen konnte. "Die drei da vorne sind Künstler, kommen wohl ursprünglich aus diesem Viertel hier. Der eine malt so stilisierte Gemälde, die an den sozialistischen Realismus erinnern. Der andere macht irgendwas mit Graffiti, vielleicht soll das ne Koproduktion werden." Sie machte eine Pause. "Vom dritten weiß ich es nicht genau". Ich nickte. Das würde weder Jens noch dem Timemaster schmecken, wenn verkopfte Künstler ihre Kneipe verunstalteten. Ich nickte Lisa zu, nahm meinen Kaffee, und stellte mich zu der Truppe. Einer der Künstler erklärte in seinem seit Wochen nicht gewechselten Hemd, wie ein vier Meter hohes Porträt eines verfremdeten Moorsoldaten dem Raum eine andere Bedeutung geben würde. Der Timemaster schaute zu Boden, und Jens sagte barsch: "Das klingt ganz toll, wirklich, aber die Leute wollen in eine Kneipe, und nicht ins Moor!"

Ich stellte mich neben den Timemaster. Der guckte mich leicht verzweifelt an und flüsterte mir zu: "Dat hat uns der Jester eingebrockt. Irgendeine Vernissage, und der meint zu denen, das Jester's Door könnte auch mal mehr Kunst vertragen. Is ja nett, aber nun müssen wir sehen, wie wir da wieder rauskommen." Ich grinste. Ja, ja, der Jester. Wohl mal wieder zum Wein statt zum Bier gegriffen bei der Vernissage, dann wurde der immer unberechenbar. Ich schaute in den Nebenraum, wo ein paar Punks dem hektischen Treiben zusahen. Ich hatte eine Idee, zupfte dem Timemaster am Ärmel und nahm ihn und Jens für einen Moment beiseite. Beide überlegten kurz, um dann leicht missmutig zu nicken.

Kurz darauf führten die beiden Wirte den Trupp in den angrenzenden Billardraum, und nach kurzer Diskussion und der unwilligen Zustimmung der Punks kam man überein, an der ziemlich abgearbeiteten Rückwand des Raumes ein Kunstprojekt zu starten. Es sollte eine Art Kunstworkshop mit den Punks stattfinden, unter denen sich auch der eine oder andere Sprayer befand, und sehr zum Leidwesen der drei Künstler bereits um 10 Uhr morgens begann, damit wenigstens ein paar Stunden noch im nüchternen Zustand gearbeitet werden konnte. Alle waren halbwegs zufrieden, auf das Ergebnis war ich jetzt schon gespannt, die BAND begann zu spielen, und am Schachbrett war der ganze Trubel wie immer vorbeigegangen. Ich setzte mich wieder zu Lisa und blieb für diesen Abend beim Kaffee, weil ich mich ausnahmsweise mal nicht lächerlich machen wollte.

21
Apr
2011

Jester's Door: Abgerechnet

Das Jahr der Abrechnungen. So würde 2011 in die Annalen eingehen. Nach drei Monaten waren welt- und innenpolitische Rechnungen in großem Umfang präsentiert worden, und er saß auf seinem Stammplatz im Jester's Door und schaute auf seine persönliche Abrechnung: den Deckel. Der war in den letzten Monaten enorm angewachsen, seitdem ihm diese skurrile Kneipe zur zweiten Heimat geworden war. Wie viele Becher Kaffee, wie viel Bier und Rotwein hatte er hier getrunken? Es war eine eigene Welt, und sie war so anders als dieses Elend da draußen, in der der Neid, die Gier regierten. Es war eine raue, herzliche Welt, den er hinter dem Spiegel, äh, hinter der Kneipenür vorfand. Auf nichts freute er sich mehr als auf diese Abende, Nachmittage oder im Zweifelsfall Tage, die er im Jester's Door verbrachte.

Vor ihm lag die Zeitung, und er war gerade wieder so weit nüchtern geworden, dass er sich mit der Welt außerhalb des Jester's wieder befassen konnte. Japan, Atomkraft, Nordafrika, die Themen der letzten Wochen drohten ihm aus den Überschriften der Titelseite, er seufzte, nahm einen Schluck Kaffee und schaute sich um. Der Timemaster stellte gerade wieder die Uhr, da eine Sitzung des neugegründeten Arbeitskreises "Sklaverei abschaffen - auch in Deutschland!" beginnen sollte. Eine Gruppe von Dauerpraktikanten Mitte 40, drei mies bezahlte Texterinnen und einige resignierte Arbeitslose hatten sich bereits um die Thermoskannen am Versammlungstisch eingefunden. Eine Arbeitslose berichtete den Gesinnungsgenossen, dass sie Vormittags noch an einem entwürdigenden Bewerbungsinformationsgespräch teilgenommen hätte, bei dem sie zur Annahme eines unterbezahlten Jobs in einem Outbound-Callcenter gedrängt worden war.

Ich wollte mich erst später dazu setzen, die meisten von den Teilnehmenden kannte ich bereits und in der ersten Stunde kotzten sich die meisten erst einmal aus, über Arbeitgeber, Arbeitsagentur, Kunden, Gewerkschaften, etc. Ich schaute unterdessen zum Timemaster und Jens rüber. Hatten die überhaupt geschlafen? Ich hatte die gesamte Nacht, den Morgen und den Nachmittag hier verbracht. Keiner von ihnen hatte in dieser Zeit geschlafen - obwohl ich mir nicht ganz sicher war, denn die Erinnerung zwischen Mitternacht und Mittag war doch eher verschwommen. Um ehrlich zu sein, ich konnte mich häufig nicht an das erinnern, was nach der Internationalen im Jester's Door passierte. Zu viel Rotwein, verwischte Erinnerungen an revolutionäre Ideen, ein Jester, die BAND, die irgendwann den Jester selbst ans Mikrofon ließ. Eher schemenhafte Schatten langer Nächte. Ich fühlte mich plötzlich so unendlich müde.

Ich ging zm Timemaster rüber und beglich meinen Deckel. "Werde mal nach Hause. Das Bett ruft schon 'ne Weile." Er nickte. "Kein Problem. Aber denk' dran: Morgen Abend is die Soliaktion für den türkischen Laden, der von den Skins abgefackelt wurde. Wenn Du nich kömmst, dann gibt's ne Zwangsspende auf Deinem Deckel!" Ich grinste, nickte ihm zu, und ging rüber zum Arbeitskreis. Die waren noch beim allgemeinen Auskotzen, einer der mir unbekannten Dauerpraktikanten erklärte gerade, sein Chef habe ihm erklärt, nach 5 Jahren Praktikum sei er noch nicht erfahren genug, um einen festen Job zu bekommen. Ich schüttelte mit dem Kopf, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: "Kündige oder du wirst als Prakti sterben, Du hast die Wahl!" Zustimmendes Gemurmel, ich grüßte zum Abschied und ging zum Ausgang. Aus dem Augenwinkel glaubte ich eine Bewegung am Schachbrett wahrgenommen zu haben. Aber das war wohl nur eine Illusion, denn die beiden Spieler würden wohl nie zum Ende kommen. Oder abrechnen.

16
Feb
2011

Jester's Door: Bierkrieg(2)

Es war am frühen Abend des nächsten Tages, als ich die Cocktailbar betrat. Die Einrichtung war edel, aber völlig geschmacklos. Einer jener Plätze, an denen sich die Schickeria mittelgroßer Städte traf. Kohle hatte noch nie Geschmack ersetzen können. Naja, ich seufzte und setzte mich an die Bar. Meinem Auftrag entsprechend bestellte ich mir einen Kaffee und blickte mich um. Unter neonfarbenen Leuchten saßen jungdynamische Männer, die noch in ihre Anzüge reinwachsen mussten. Meistens wurden sie von viel zu stark geschminkten Karrierefrauen begleitet, die bemüht tough vor pastellfarbenen Wänden posierten. Die Typen hingegen verkrampften beim lässig wirken. Der Jester war nicht zu sehen, dafür hingen verstreut die üblichen Poster von Hollywoodfilmen, James Dean, natürlich Humphrey Bogart. Mir fiel dabei auf, dass ich gar nicht auf den Namen der Bar geachtet hatte. Vermutlich "Rick's Café", maximal "Blue Parrot", aber nur wenn der Besitzer etwas mehr Fantasie hatte als die Einrichtung. Ich schaute auf die Karte. Es war "Rick's Café".

Ich bestellte einen zweiten Kaffee, wobei sich das scheußliche braune Gebräu kaum so nennen dürfte, zudem war es überteuert. Ich hatte fasziniert beobachtet, wie das schöne Kaffeepulver durch einen dieser Hyper-Kaffeeautomaten mit Vorwaschgang und Seifenschaummodus gejagt wurde. Der gegelte Barkeeper stellte sich dabei so tölpelhaft an, dass der Landevorgang eines Albatros' dagegen wie eine perfekte Eiskunstlaufkür angemutet hätte. Ich wurde unruhig, der Jester war immer noch nicht da und der Laden war wirklich nicht zum Aushalten. Eine extrem aufgetakelte Frau - um es neutral auszudrücken - hatte sich zu mir an die Bar gesetzt und fragte mich ernsthaft, ob ich ihr nicht einen "White Russian" ausgeben wolle, den wollte sie schon immer mal probieren. "Nein". Ich schob dann der Höflichkeit halber noch nach, dass der hier sowieso mit Sahne gemixt werde, was total gegen meine Prinzipien verstoße, aber der Schaden war schon angerichtet. Was ich eigentlich auch wollte, nach einem kurzen verbalen Rückzugsgefecht war ich dann auch wieder allein und konnte mich ganz meinem Auftrag widmen.

Da trat er auch schon ein, mit hochrotem Kopf, und ließ sich an einem der Tische im Eingangsbereich nieder. Einer der gegelten Kellner brachte ihm ein Bier, während ich der Einsatzzentrale eine SMS schickte. Ich wartete noch etwas, investierte in einen Whiskey Sour - ich frage mich bis heute, ob ich mit dem Drink gleich Anteile an dem Laden erworben habe - und ging zum Tisch des Jesters. "Nanu, Du hier? Wußte gar nicht dass Du", ich lauschte der Musik, "Fan von Easy Listening Pianisten bist." Der Jester verzog das Gesicht: "Naja, das nun nich gerade. Aber das Bier ist gut." Ich grinste: "Hmm, wie ich sehe, ist es vor allem billig, was man von meinem Cocktail nicht gerade sagen kann. Aber so was bekommt man im Jester's Door ja nicht. - Darf ich mich setzen?" Er nickte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich der Rest der Eingeweihten mit einem Ghettoblaster an der nächsten Ecke aufbauten. Die Musik war in dieser Phase besonders unerträglich geworden, es lief "Girl from Ipanema" in einer gruseligen Reggae-Jazzpiano-Variante. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, der Whiskey konnte nicht schnell genug wirken, um das Leiden zu lindern. Auch der Jester schüttelte den Kopf, sein Gesichtsausdruck zeugte von körperlichen Schmerzen.

In diesem Augenblick betrat der Bassist der BAND die Bar. Er wirkte in dieser Umgebung mit seinen langen Haaren, den aufgeschlissenen Klamotten und der bemalten Jacke ungefähr so deplatziert wird ein Wal im Weltall. Der Jester schaute ihn überrascht an, murmelte was von "hier ist ja was los heute", während der Sir John, wie er genannt wurde, auf ihn einredete und die Rückgabe von 30 Musikalben sowie diversen Büchern verlangte, die der Jester von ihm geliehen hatte. Der war nämlich dafür bekannt, ein notorischer "Borger" zu sein. Etwas genervt trank der Jester aus, um die gewünschten Sachen aus seiner Wohnung zu holen, wenn er sie denn überhaupt finden konnte. Ich leerte mein Glas, und begleitete die beiden hinaus. Kaum waren wir auf der Straße, da hörte ich schon die Musik. Die ersten Takte von "Script for a Jester's Tear" waren zu hören, und wie geplant ging unsere Zielperson der Sache schnurstracks nach. Ich grinste, an der nächsten Ecke wartete eine Abordnung von 20 Stammgästen auf ihn. Einige Punks, der Stammtisch der Anglistikstudentinnen, die BAND, Mitglieder des "Sozialistischen Redezirkels Nord". Selbst die beiden greisen Schachspieler waren mitsamt zweier Hocker, eines Klapptisches und ihres Schachbretts waren vor Ort und saßen regungslos am Rande der Menge.

Der Jester stand überwältigt vor dieser absurden Truppe und flüsterte den Text des Liedes. Einige Tränen liefen ihm die Wangen herunter, während ihn Ralf, einer der ehemaligen Studienräte in den Arm nahm und sagte: "So, reicht das? Kommst mit?". Der Jester nickte nur betreten, und ein Grummeln ging durch die Menge. Statt laut ausbrechender Freude wurde der Jester nun mit Vorwürfen überzogen. "Wat fällt Dir denn ein", "Ne Stunde in der Kälte rumsteh'n wegen diesem Narren" oder "so billig kann dat Bier doch gar nich sein!". Das Lied war vorbei, wir machten uns auf den Weg. Der Jester wurde die ganze Zeit über einer Art Inquisition ausgesetzt, musste genau erklären, wieso er in so einen Laden gelangen konnte. Genau zu verstehen waren seine Erklärungen nicht, er murmelte etwas wie "Studien in Kommerzialisierung" oder "durch den Kapitalismus verführt worden" etc. Ich hörte nicht weiter zu, stellte nur irgendwann fest, dass die beiden Schachspieler nicht mitgekommen waren, jedenfalls waren sie nicht mehr dabei, als sie ihr Ziel erreichten.

So betraten wir das Jester's Door. Alles wirkte wieder normal, der Timemaster stellte gerade die Wanduhr auf die richtige Zeit ein und der Jester ging zu seinem Stammplatz an der Theke. Die beiden weißhaarigen Schachspieler saßen da wie immer... - Moment! Wie hatten sie vor uns da sein können? Ich rieb mir die Augen, der Bassist der Band klopfte mir auf die Schulter, gab mir ein Bier und murmelte "Denk nicht drüber nach. Ich versteh es och nich' ". So ging ich selbst rüber zu Jens, der dem Jester gerade ein Bier mit den Worten reichte: "Dat machst' nich nochmal. Wir schließen Dich sonst vom sozialistischen Redezirkel aus!" Diese Ermahnung hatte tatsächlich Einfluss auf den Jester, der verschämt an seinem Bier nippte. Die BAND begann also zu spielen, als einer der Kellner aus der Cocktaibar rein kam, sich umsah, schnurstracks auf den Jester zuging und ihm einen weiteren Discount auf seine Getränke anbot. Sofort umklammerten der Timemaster und Jens den Jester, redeten auf ihn, während die Punks sich das gegelte Jüngelchen schnappten und ihn im hohen Bogen auf die Straße warfen. Die BAND störte der Vorfall nicht weiter, mit stoischer Ruhe begann sie ihren Auftritt und ließ "Script for a Jester's Tear" ertönen. Der Obernarr im Raum stellte sich mal wieder auf die Theke, und der Stammtisch der Anglistikstudentinnen begann eine Diskussion über die Funktion des Narren bei Shakespeare. Ich grinste, trank mein Bier und dachte nur: "Wie schön".

28
Jan
2011

Jester's Door: Bierkrieg(1)

Diese Jester's Door Episode basiert auf dem vor langer Zeit geschriebenen ersten Fragment der Jester's Door Reihe. Quasi eine Überarbeitung des "Ur-Jester". Viel Spaß!
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Ich war einige Tage nicht im Jester's Door gewesen und hatte das komische Gefühl, etwas verpasst zu haben. So machte ich mich also auf den Weg zu dieser Heimat obskurer Verhaltensweisen und unangepasster Lebensstile. Es war später nachmittag, die Sonne stand schon tief, als ich in die "Ferdinand Lasalle Straße" einbog, wo sich das Jester's Door befand. Meine Vorahnung schien sich zu bewahrheiten, denn vor der Kneipe stand eine Gruppe wild gestikulierender Menschen. Während ich näher kam, sah ich immer wieder Leute dazu kommen, die meist nur kurz mit dem Kopf schüttelten, um dann einzutreten.

Ich erreichte die Menschentraube und sprach einen der Punker an, der am Rand stand und rauchte. Er begrüßte mich überraschend nüchtern und murmelte "Diese Type, also der Jester, der is seit 5 Tagen nich' aufgetaucht. Naja, alle ziemlich nervös deshalb." Der Jester? Verschwunden? Was wäre diese Kneipe ohne ihn? Sofort wurde mir klar, warum alle so nervös waren. Nicht nur die allabendlichen Rituale standen in Frage, die Existenz der Kneipe stand auf dem Spiel - kamen doch viele der Stammgäste nur, um den Jester singend auf dem Tresen zu bewundern!

Ich trat ein und musste mir erstmal die Augen reiben: Der Hauptraum der Kneipe sah aus wie das Lagezentrum einer polizeilichen Sondereinheit. Die Bühne war von einer überdimensionalen Karte des Stadtgebiets verdeckt, auf der in wilden Mustern farbige Stecknadeln leuchteten. Auf dem großen Tisch standen mehrere Thermoskannen und Unmengen an Kaffeebechern, benutzte wie unbenutzte, an den kleineren Tischen saßen wild auf die Tastaturen ihrer Laptops einhämmernde Menschen und im Raum verteilt diskutierten Gruppen von Stammgästen aufgeregt miteinander. Nur die beiden älteren Schachspieler saßen wie immer unbeweglich und scheinbar hochkonzentriert vor ihrem Brett und ließen ihre Bärte wachsen.

Schließlich erblickte ich Jens, der niedergeschlagen am Tresen saß und mit dem Timemaster sprach. Ich nickte ihm zu, schnappte mir einen Kaffee und ging zu ihnen rüber. "Hab' schon gehört, der Jester ist verschwunden? Aber wozu is denn das ganze Zeuch da?" Jens schüttelte mit dem Kopf: "Dat weiß ich auch nich so genau. Paul, einer von den Punks, is mal bei der Polizei gewesen. Der meint, dat macht man so." Der Timemaster ergänzte: "So richtig weiß ich auch nicht, wie wir den Kerl finden sollen. Der ist immerhin seit 5 Tagen und ..." - der Timemaster sah auf seine Armbanduhr, drehte sich um und stellte die kaputte Wanduhr hinter ihm auf die aktuell korrekte Zeit ein - "11 Stunden nicht mehr hier gewesen. Aber der kann ja überall sein." Ich fand heraus, dass die augenblickliche Arbeitshypothese darin bestand, dass der Jester nicht ohne Bier auskommen würde und daher jetzt alle Kneipen abgesucht würden. So kam etwa alle 5 Minuten ein weiterer Späher zurück, schüttelte den Kopf, nahm sich einen Kaffee und erhielt neue Instruktionen. Leider war schon eine Reihe von Kneipen doppelt und dreifach abgesucht worden, da niemand so genau wußte, welche Nadelfarbe nun für eine bereits besuchte Kneipe stand und welche noch auszuspähende Etablissements symbolisierten. So gingen die meisten am liebsten in die umliegenden Bars, und besuchten sie ein zweites und drittes Mal.

Als ich gerade einer Punkerin über die Schulter blickte, die den Jester per Laptop, Google und Verschwörungstheorien aufzuspüren versuchte, gab es vor dem Jester's ein großes Gemurmel. Einer der Kneipenspäher kam hereingelaufen - also eher keuchend hereingeschlurft - und winselte was von "gefunden". Nachdem er endlich Luft geholt hatte, berichtete er, dass er den Jester endlich gesehen und gesprochen habe. Er sei seit Tagen in einer der Schickeria-Cocktailbars im Stadtzentrum zu finden. Dies führte zu allgemeinem Stirnrunzeln. Hatte er sich jetzt doch verkauft? Doch schnell wurde klar, dass der Jester vor allem wegen der günstigen Bierpreise die Kneipe gewechselt hatte: Offenbar wurde Gerstensaft dort besonders günstig angeboten, um die Leute zum Betreten ihrer exquisiten Cocktailbar zu verführen.

Nun waren die Bierpreise im Jester's Door wirklich nicht hoch, aber gegen Dumpingangebote konnte ein sozialistisch geführter Laden nun nicht ankommen. Das wollten der Timemaster und Jens auch nicht, denn sie wollten durch ihr Geschäftsgebaren keine Arbeiterausbeutung befördern - gleich ob bei Kaffeebauern in der dritten Welt oder in deutschen bzw. internationalen Brauereien. Dennoch wurde schnell klar, dass man den Jester wieder zurückholen musste, ihn vor seinem Verderben und dieser teuflischen "Bar" bewahren musste. Ein kleinerer Kreis um die beiden Kneipiers herum setzte sich an den Kaffeetisch und beriet das weitere Vorgehen. Um 2 Uhr nachts war ein Schlachtplan fertig, abstrus, sozialistisch, so wirr, er musste einfach klappen...

Fortsetzung folgt.

10
Jan
2011

Jester's Door: Kneipenrevolutionäre

Ich saß mal wieder mit schwerem Kopf am Tresen des Jester's Door und trank einen Kaffee. Dieser Laden war wirklich zu einem Laster geworden - abends schmeckte das Bier zu gut, und morgens bzw. mittags oder wann immer man aufstand, gab es eindeutig den besten und günstigsten Kaffee der Stadt. So schüttete ich mir den dritten Becher hinein, während das dröhnende Hämmern in meinem Kopf langsam nachließ. Eigentlich wartete ich auf die Sitzung des am vorigen Abend ins Leben gerufenen "Arbeitskreis Sozialismus jetzt!", war mir aber nicht mehr ganz sicher, was wir damit beabsichtigt hatten. Naja, wir würden schon einen Grund finden.

Ich blickte mich um, und war der festen Überzeugung, dass sich auf dem Schachbrett etwas getan haben musste, auch wenn die beiden Spieler wie eh und je unbeweglich davor saßen. Ihre langen Bärte verrieten keine Regung. Auch sonst schien heute alles ein wenig anders zu sein, selbst die Punks waren noch nicht volltrunken und trafen beim Billard tatsächlich mal die richtigen Kugeln. Ein Typ namens Peter kam herein, auch einer dieser Stammkunden. Ein Freund des Jester‘s, der im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen über ein regelmäßiges Einkommen verfügte und daher von der Kleidung her sofort auffiel. Sie stammte eindeutig nicht aus einem Oxfamladen.

Soweit ich mich erinnern konnte, hatten wir bald alle Figuren zusammen, die sich die Einrichtung dieses Arbeitskreises ausgedacht hatten. Im wesentlichen waren es dieselben, die regelmäßig am sozialistischen Lesekreis Nord und anderen pseudorevolutionären Zusammenkünften im Jester‘s teilnahmen. Als der Jester schließlich reinkam und der Timemaster pflichtbewusst den Beginn des Treffens eingeläutet hatte, nahmen wir alle am großen Tisch Platz. Im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheiten stand nur Kaffee auf dem Tisch, lediglich der Jester selbst war ohne Bier nicht zur Teilnahme an der Diskussion zu gewinnen. Das galt im Prinzip für alle Aktivitäten des Jester‘s.

So begann eine breite Diskussion, wie man denn JETZT den Sozialismus einführen könnte. Das ganze fing klein an, wuchs sich dann aber schnell aus. Einwände von Jens und mir, man solle vielleicht erstmal definieren, was man denn genau damit meine, wurden in den Wind geschlagen. „Wir dürfen uns jetzt nicht auf Grundsatzdebatten einlassen. Das Elend ist groß genug, wir müssen handeln.“ Der ehemalige Gymnasiallehrer in der Lederjacke sprach weiter: „Mittlerweile merken selbst Leute wie Sarrazin, wie dumm sie selbst und der Rest um sie herum geworden ist. Bald wird damit nicht nur Geld gemacht, das macht die Bild ja schon seit Jahrzehnten“. Wieder Kopfnicken, aufgeregte Rassismusbeiträge, der Hinweis auf brennende Moscheen.

Jens hakte wieder nach, was man denn jetzt konkret erreichen wolle? „Na, wir müssen an die Wurzel. Hier muss ein ganz anderes System her!“ Der Jester, mittlerweile bei seinem fünften Bier, meldete sich vehement zu Wort: „Ach was! Eure Ideen werden alle zu Kommerz, die verkaufen doch alles, und bevor ihr Euch verseht, seid Ihr alle, alle scheiß Popidole!“. Wir guckten uns etwas irritiert an, und dann rief der Soziologiestudent im 65. Semester: „Die Medien! Wie müssen die Medien besetzen, den Leuten die Wahrheit zeigen. Das ist der Beginn der Revolution!“ Erst Zustimmung, dann Einwände: „Und das Internet?“ - „Das auch“ - „Du willst das Internet besetzen?“ - „Nein, nutzen.“ - „Aber ich blogge doch schon!“

Plötzlich fing der Schlagzeuger der BAND mit dem Soundcheck an. Worauf Jens brüllte "Ey, fangt mal später an, Leute, wir machen hier gerade Revolution!" Der Bassist schüttelte mit dem Kopf und nuschelte was von "Ach, ist es mal wieder soweit...". Die Diskussion ging fort, und man machte erste konkrete Pläne zur Erstürmung des lokalen Radios, während der Jester permanent von „Kommerz“ und „alles nur gekauft“ faselte. Gegen 19 Uhr war man dann bereit, zur Tat zu schreiten. Voll revolutionärem Pathos und mit einem Zehn-Punkte-Forderungskatalog bewaffnet wollten sich 20 Gestalten zum Sender aufmachen.

Doch dann erklärte Peter: "Jo, Jungs, wär' ja gern dabei, muss aber gleich zum Pilates - können wir die Revolution vielleicht auf morgen..." - Diese Bemerkung hätte er sich besser gespart, denn Jens und zwei weitere Kollegen fuhren derartig aus der Haut, dass wir sie nur mit Mühe von Handgreiflichkeiten abhalten konnten - d.h., nachdem Jens über den Tisch gesprungen war, Peter auf den Boden geworfen und durchgeschüttelt hatte. Wir konnten ihn etwas beruhigen, dennoch hatte er noch etwas Schaum vor dem Mund und wiederholte immer aufs Neue: "Pilates. PILATES! Was darf es sein: Etwas Revolution oder doch lieber Pilates? Ach nö, ich nehm erstmal Pilates,und wenn ich dann noch Zeit habe einen Antifa-Sticker... Was ist das denn für eine Toskana-Revolution? Hä". Diesen Satz sollte für die nächste Woche jeder hören, der ein Bier bestellte. Und die Revolution war ohnehin ausgesetzt - bis auf weiteres.

1
Jan
2011

Jester's Door: Der göttliche Kater

Es war der Neujahrsabend. Ich hatte Silvester natürlich wieder zu viel getrunken, und auch zwei Kopfschmerztabletten am Morgen halfen nicht. Am frühen Abend kämpfte ich mich schließlich aus dem Bett, zwängte mich in meine Klamotten und suchte Ablenkung von meinem hämmernden Schädel. Also schleppte ich mich mühsam zum Jester's Door. Dort eingetroffen, sah ich sofort, dass die meisten der anwesenden Gäste ebenfalls unter den Nachwirkungen der Silvesternacht litten. Ich schlich zur Theke und bestellte ein großes Bier. Jens und der Timemaster standen mit dunklen Augenringen am Ausschank. Der Jester war noch nicht aufgetaucht, die Punks hingen vermutlich über der Toilette - lediglich die beiden Schachspieler saßen wie immer unbeweglich vor ihrem Brett, während ihre Getränke schal wurden.

Auf der Bühne schraubten die Mitglieder der BAND an ihrem Set herum, wankten aber erheblich hin und her und sahen insgesamt noch fürchterlicher aus als sonst. Unter dem üblichen Plakat, das 'The Worker's Voice' - so hieß die BAND - ankündigte, war ein neues, zittrig beschriebenes Banner angebracht. Mit etwas Mühe konnte ich es entziffern: "Oh god of hangovers, where are you?" Hmm, entfernt hatte ich eine Idee, was gemeint sein konnte. "Na, hast wohl auch den falschen Göttern geopfert. Du siehst ja furchtbar aus." Der Jester stand hinter mir und lachte. Mit einiger Anstrengung drehte ich den Kopf und schaute ihn an. "Jaja," schrie er grinsend, "ich habe den ganzen Abend auf den 'Oh god of hangovers' getrunken, und mir geht es super." Bei den letzten Worten änderte sich seine Gesichtsfarbe und er rannte mit vorgehaltener Hand auf die Toilette. Alle anderen lachten lauthals, hörten aber schnell damit auf, da es einfach zu sehr in den Köpfen dröhnte.

Unterdessen war Jens zu mir rübergekommen und zeigte auf einen der größeren Tische neben den beiden Schachspielern. "Wir haben gleich 'ne Scheibenwelt-Runde, dat hilft garantiert gegen den Kater!". Der Timemaster kam auch gleich dazu: "Jo, wir lesen Pratchett und trinken auf den 'Oh god of hangovers'. Dat hat noch immer geholfen." Ich begleitete den Timemaster zum Tisch, während Jens weiter die Bar schmiss. Wir setzten uns und der Timemaster begann, aus einem Scheibenweltroman vorzulesen, und nach jedem Toast, dem wir dem 'Oh god of hangovers' widmeten, übernahm ein anderer das Lesen. Das konnte allerdings ziemlich schnell gehen, denn wir hatten uns ziemlich viele Trinkgründe einfallen lassen: Die Erwähnung der Unseen University, das Auftreten des TODs, etc.

Neben den üblichen Verdächtigen - der Jester war vom Klo zurückgekehrt und bei solchen Trinkspielen natürlich ganz in seinem Element - waren auch drei junge Frauen am Tisch, die ziemlich übernächtigt aussahen. Neben mir saß Astrid, eine Blonde Anglistikstudentin mit kurzen Haaren, Nasenpiercing, ganz alternativ gekleidet trug sie ein Blümchenhemd unter der aufgeschlissenen Jacke. Nach einer Weile löste Jens den Timemaster ab, und es wurden neue Trinkregeln aufgestellt. Ich kam ein wenig mit Astrid ins Gespräch, und sie war mir nicht unsympathisch. Allerdings war ich nicht mehr wirklich nüchtern und fürchtete ob meiner zunehmenden Artikulationsschwierigkeiten einen eher unvorteilhaften Eindruck zu hinterlassen. Aber sie schien das nicht zu stören, war sie doch mindestens genauso angetütert wie ich. Wenigstens hatte der Alkohol die Kopfschmerzen für den Rest des Abends beiseite gespült, so dass ich mich wieder halbwegs normal bewegen konnte.

Nachdem das erste Kapitel durch war, beendeten wir die Aktion, da die meisten mittlerweile Schwierigkeiten hatten, mehr als drei Wörter flüssig auszusprechen. Wir waren uns einig, dass die ganze Aktion ein voller Erfolg war, denn niemand litt mehr an den folgen des Silvesterkaters. Ich setzte mich mit Astrid an einen der anderen Tische und begann eine intensive Diskussion über 'Warten auf Godot', wenn ich mich richtig erinnere. Während Jens und der Timemaster immer wieder verschmitzt grinsend neue Getränke lieferten, garniert mit Fragen wie: "Und? Godot schon da gewesen?" oder "na, ihr wartet aber lange". Ich war mittlerweile wieder so voll, dass ich einige dieser Kommentare gar nicht verstand und auf Kaffee umstieg. Es sollte eine lange Nacht werden...

24
Dez
2010

Jester's Door Special: Der wirkliche oder nicht-weihnachtliche Heiligabend

Es war mal wieder das „danach“, das zwangsläufig die Frage „Was nun?“ aufwarf. Heiligabend. Wie jedes Jahr nach Familie, Festtagsbraten, Bescherung, also all den guten und schlechten Weihnachtsbräuchen, machte ich einen Spaziergang. Scheinbar ziellos. Doch dieses Jahr hatte ich ein Ziel, die Hoffnung, den vermutlich einzigen weihnachtsfreien Ort in dieser Stadt zu finden. Das Jester‘s Door.

Ich atmete noch einmal tief ein, bevor ich das Jester‘s Door betrat. Auf den ersten Blick bestätigte sich meine Hoffnung. Keine Spur von Weihnachtsdekoration, die BAND war beim Aufbauen. Hinter dem Tresen stand der Timemaster, der Jester hielt einem unbedarften Opfer einen Vortrag über Big Country, nur der Billardraum war komisch verhängt. Ich ging an den Tresen und bestellte ein Bier. „Na, auch ma‘ wieder hier? Zu Weihnachten kommst wieder angekrochen. Wünsch mir jetzt bloß kein Frohes Fest!“ wobei der Timemaster auf den Thorshammer deutete. Etwas zerknirscht nahm ich das Bier entgegen. „Was ist denn im Billardraum los?“ lenkte ich ab. „Dat is unsere Solidaraktion. Wir lassen die Obdachlosen unseres Viertels immer zwischen dem 21.Dezember und Neujahr hier übernachten. Dann bringen die Leute ihre alte Kleidung und Essen vorbei, und einigen besorgen wir in der Zeit auch einen Wohnplatz oder Arbeit. Die Sozialarbeiter haben für so wat ja kaum noch tid.“

Ich war ehrlich überrascht. Die meisten der Gäste des Jester‘s waren doch selbst kaum in der Lage sich über Wasser zu halten. Aber just in diesem Moment kam einer der Punks mit einer Ladung Kaffee unter dem Arm durch die Tür und gin in den Billardraum, wo er sonst um Autogramme obskurer Musiker spielte. Ich folgte ihm und sah mich um. Jens stand an einer Art Gulaschkanone und verteilte Suppe, ein pensionierter Lehrer half einem Obdachlosen beim Ausfüllen eines Formulars, und einige andere wärmten sich an der Heizung. „Moin, lang nicht gesehen. Die Spenden dose ist da drüben, und Du tust da gefälligst einen Schein rein, kloar?!“ wurde ich von Jens begrüßt. Solchermaßen instruiert spendete ich, unter Jens‘ Blicken dann auch einen zweiten Schein. „So ist‘s recht.“ grummelte er, und setzte frischen Kaffee auf. Am Kaffeeausschank erkannte ich den lokalen Abgeordneten. Jens raunzte mir zu: „Glotz nich, pack an. der Sozi da braucht noch Hilfe“ und deutete auf einen Studenten, der gerade Mettbrötchen schmierte.

Nachdem ich wenigstens dreizig Brötchen geschmiert hatte, ging ich zurück in den Barraum, denn die BAND begann ihr Konzert. Der etwas übernächtigt dreinblickende Bassist begann mit dem Intro, während der Rest von „The Worker‘s Voice“ düster ins Publikum blickten. Nach dem Eröffnungssong, der gleiche wie an jedem anderen Abend auch, gröhlte der Sänger ins Mikro: „Heute ist christliche Weihnacht. Der Tag der Heuchelei und der heilen Welt. Aber wir heucheln hier nicht. Wir spielen. Ehrliche Musik.“ Gegrummel im Publikum, vereinzelte Kommentare wie „naja“ oder „ehrlich und schlecht...“, die der Sänger ignorierte. „Also, weiter mit Arbeiterliedern“. So spulten sie ihr normales Ritual ab, mit den bekannten Höhepunkten „Worker‘s Welfare“ und dem mitternachtlichen Intonieren der Internationalen.

Erst danach änderte sich das Programm, der Jester wurde auf die Bühne gebeten. „Liebe Freunde, Genossen und Genossinnen, Kollegen und Kolleginnen, dies hier ist das Gegenprogramm zum Kommerz. Dem Kommerz des Weihnachtsfests, der Kommerzialisierung der Musik. Wir sind die Insel, die sich nicht kaufen läßt. Also: Da drüben sind die Leute, die unsere Solidarität brauchen, laßt uns Ihnen helfen!“ Dabei zog er seine Jacke aus, dann sein Hemd. „Seht, ich gebe mein Hemd für meine Mitmenschen. Und was verlange ich dafür?“ Die Leute lachten, denn die BAND spielte die ersten Töne von „Script for a Jester‘s Tear“. Der Jester sang das Lied, nach Jahren der Übung ziemlich gekonnt, während die anderen einen Sack rumgehen ließen, in den Geld, Klamotten oder ähnliches geworfen wurden.

Der Jester endete, mit Tränen in den Augen. Ich fragte ihn später, ob dies jedes Jahr zu Weihnachten so sei, und er antwortete: „Ja, es ist der einzige Abend im Jahr, an dem ich das Jester‘s Door verlasse und zufrieden einschlafe.“ Ich würde am nächsten morgen wieder kommen und noch einige alte Klamotten vorbeibringen. Einer der Obdachlosen sollte mir bei der Gelegenheit erzählen, wie dankbar er diesen Menschen sei, bevor er auf der Bühne alte Wikingersagen vorgetragen wurden. Weniger Weihnachten, mehr Jester‘s Door würde ich mir sagen.Keine Weihnachtsgeschichte, keine altehrwürdigen Rituale. Und doch hatte ich verstanden, worum es im Leben gehen sollte. Oder im Jester‘s Door ging. Jeden Tag. Nur anders.

9
Okt
2010

Jester‘s Door 3: Die BAND

Ich saß noch immer an der Theke des Jester‘s Door, trank meinen Kaffee und wartete gespannt auf die Dinge, die noch kommen würden. Jetzt war ich schon seit über vier Stunden in dieser Kneipe, in die mich ein Zufall, ihr absurder Name und das verwitterte Kneipenschild hineingetragen hatten. Es wurde nun immer voller, was vor allem daran lag, das die BAND gerade aufbaute und dabei über die kleine Bühne hinaus einigen Platz in Anspruch nahm. Ich betrachtete das Schachbrett, auf dem sich seit Stunden offensichtlich nichts bewegt hatte. Lediglich die Bärte der beiden greisen Spieler schienen länger geworden zu sein.

Am anderen Ende der Theke hatte sich der Jester in eine langwierige Diskussion über die Kommerzialisierung der Independant-Musik verwickelt, eine Auseinandersetzung, die durch den zunehmenden Alkoholpegel weder strukturierter noch logischer wurde. Mittlerweile handelte es sich eher um einen Monolog, und die beiden Zuhörer und ehemaligen Mit-Diskutanten nickten nurmehr mit dem Kopf, offensichtlich leicht genervt und nach einem Ausweg aus dieser Unterhaltung suchend.

Bambam! Das Schlagzeug hatte gesprochen, die Menschen starrten zur Bühne. Die BAND war fertig mit dem Aufbauen und es wurde leiser im Raum. „So, Leute, seid ihr bereit für „Worker‘s voice“?“ schrie der Sänger ins Publikum. Die Anwesenden murmelten begrenzt begeistert Dinge wie „Jo“ oder „wat denkt der denn“, aber das schien den Sänger, ein schmächtiger, langmähniger Typ in Heavy-Metal-Kluft, nicht weiter zu stören. „Na, dann legen wir los!“ schrie er erneut ins Mikro, doch bevor der Schlagzeuger, ein zotteliger Bär, der „das Tier“ aus der Muppetshow wie einen Abklatsch aussehen ließ, einzählen konnte, meldete sich aus dem hinteren Teil der Kneipe ein Gast lauthals zu Worte, der in Lederjacke und Jeans aussah wie ein typischer altlinker Studienrat: „Moment! Erstmal sind wir Genossinnen und Genossen, und nicht Leute, und außerdem ist es nicht demokratisch-sozialistisch, wenn Ihr hier ohne Basisbefragung einfach bestimmt, was ihr spielt. Das ist doch der Beginn der kapitalistischen Unterjochung, denn...grmpf“. Die beiden Wirte hatten gemeinsam mit einigen der Billard spielenden Punks den Störenfried unter dem Beifall der Gäste zum Schweigen gebracht. Er durfte den den weiteren Abend gefesselt auf einem Stuhl verbringen, mit einem Spezialbewacher, der ihm jedes Mal Bier einflößte, wenn er wieder den Mund aufmachte.

Die BAND konnte nun anfangen, ca. 20 Zuhörer standen direkt vor der Bühne und lauschten dieser Mixtur aus Covern klassischer Rocksongs, Ton-Steine-Scherben Varianten und eigenen Liedern, die sich vor allem durch Textanleihen aus Arbeiterlyrik und starken Bass- und Schlagzeugelementen auszeichneten. Insgesamt etwas amteurhaft aber sehr unterhaltsam, und das offenbar sehr textsichere Publikum wurde mit Dauer des Konzerts immer lauter. Es gab zwischen den Liedern selbstverständlich weiter Kommentare wie „Die waren auch schon mal besser!“ oder „das konnten sie gestern schon nicht und heute noch weniger“, aber insgesamt schien die Atmosphäre ganz gut zu sein. Ich wandte mich an Jens, um noch was zu trinken zu bestellen. „Wie oft spielen die hier?“ fragte ich ihn, und er schaute mich etwas verzweifelt an. „Jeden Abend. Jeden Abend die gleichen Lieder, ich kann es nicht mehr hören. Aber wenn wir sie nicht spielen lassen, verlieren wir die Hälfte unserer Kunden. Kurz nach Mitternacht ist Schluss mit dem Konzert, und Du siehst ja, es wird immer voller. Die Leute kommen für die letzten beiden Songs - man gut, dat is bald vorbei!“ Der Timemaster schaute auch ziemlich genervt drein, während er einer ziemlich alternativ gekleideten Frau in grüner Lederjacke erklärte, dass sie auch in sozialistischen Pubs für das Bier zahlen müsse. Dafür sei das Bier aber deutlich billiger als sonstwo.

Ich wandte mich wieder dem Konzert zu, das „Tier“ am Schlagzeug drehte gerade richtig auf, während das Publikum immer lauter einen Song namens „Worker‘s Welfare“ und die Internationale forderten.

Plötzlich wurde die Tür weit geöffnet, und zwei Punks schoben einen ca. 90 jährigen Mann in einem Rollstuhl in die Kneipe. Er wurde von den Umstehenden mit einem Kopfnicken begrüßt, während er mit seinem Stock auf den Boden schlug. Es war jetzt kurz vor Mitternacht, die BAND machte eine theatralische Pause und der Sänger versuchte die Stimmung anzuheizen, in dem er das Publikum fragte, was sie hören wollten. Statt begeisterten Rufen bekam er aber nun lediglich Sachen zu hören wie „Das weißt Du doch!“, „Das gleiche wie gestern - und vorgestern - und ...“ oder „laß den Quatsch und spielt endlich weiter“. Etwas konsterniert blickte der Sänger in die Runde, der Bassist zuckte mit den Schultern und begann mit den ersten Takten von „Worker‘s Welfare“. Die gesamte Kneipe sang mit, nur ich und ein paar Studenten an einem Tisch hinter mir schienen neu zu sein und kannten den Text daher nicht. Der Jester stand nun wieder auf dem Tresen und vollführte einen aberwitzigen Tanz, während ich versuchte, halbwegs zu verstehen, was da nun gegrölt wurde. Es schien ein nostalgischer Klassenkampfsong zu sein, ich verstand Fetzen wie „We are the Worker‘s Welfare, we are here for you“, „united in our struggle for justice, we take from the rich and give to the poor“ oder „free the people from slavery, cause we are slaves of money and greed“. Genau war das alles nicht zu verstehen, aber offenbar war es so etwas wie der Erkennungssong der BAND. Ich sah einige Leute, die sogar Tränen in den Augen hatten, darunter auch der mittlerweile wieder freigelassene Studienrattyp in seiner Lederjacke.

Am Ende des Liedes nahmen alle ihre Gläser, die letzten Töne klangen aus, es wurde still im Raum. Der Timemaster dimmte das Licht noch weiter, und der Sänger hauchte ins Mikro: „Kurt, warum sind wir hier?“ Der Alte im Rollstuhl erhob sich, stützte sich auf seinen Stock und krächzte: „Aus Respekt vor den Leidenden, den Gefallenen, all jenen, denen Unrecht widerfährt, die Ausgebeutet werden. Mögen wir Ihnen bald Gerechtigkeit widerfahren lassen und das kapitalistische Elend beenden! Hoch die Internationale Solidarität“ Da erhoben alle ihre Gläser, tranken auf die Internationale Solidarität, und die BAND spielte „die Internationale“. Jeder sang mit, ich auch, man konnte sich nicht dagegen wehren, und am Ende des Liedes waren alle auf den Beinen, nickten sich zu, klatschten sich ab. Das Konzert war beendet, und ich setzte mich an einen Tisch mit den beiden Punks, die den alten Kurt hereingebracht hatten. „Ist das jeden Abend so?“ fragte ich sie. Der Kräftigere, der den Rollstuhl geschoben hatte, antwortete: „Ja, jeden Abend. Kurt hat als Jugendlicher im Untergrund gegen die Nazis gekämpft. Er ist so was wie ein Maskottchen hier - aber eigentlich kommt er jeden Abend nur deshalb runter, weil er vor Ende des Konzerts ohnehin nicht schlafen kann.“ Er grinste. Sein Kumpel ergänzte: „Meines Wissens geht hier nie jemand in der Gegend vor Mitternacht ins Bett, das Gegröle ist einfach zu laut und übertönt jede noch so schwachsinnige Volksmusiksendung um Längen. Hehe“ Sie schauten zu Kurt, der offenbar ins Bett wollte, und standen auf. Ich ging zurück an den Tresen und zu meinem Kaffee, war noch zu aufgewühlt, um nach Hause zu gehen.

4
Jun
2010

Jester‘s Door : Ankunft des Narren (2)

Ich hatte mir ein weiteres Bier bestellt, setzte mich zurück an den Tresen und schaute mich um. Die beiden schachspielenden Männer saßen immer noch vor ihrem Brett, jeder einen Becher Kaffee neben sich. Ich konnte wirklich nicht sagen, ob auch nur eine Figur auf dem Brett ihre Position verändert hatte, die beiden Männer schienen sich jedenfalls nicht zu regen. Ein paar Studentinnen saßen an einem anderen Tisch und diskutierten bei Kaffee und Wein über die postmoderne Literaturtheorie. Klang alles ziemlich halbwissend, aber na ja.

Mein Bier war inzwischen leer und ich brauchte mal eine Pause, drehte mich zu Jens und dem Timemaster um, die sich gerade über die weitere Musikauswahl für den Abend unterhielten. „Kann ich eine Tasse Kaffee haben und noch so eine gemischte Platte mit Häppchen?“ Sekunden später drehte sich Jens um und knallte mir einen großen Becher Kaffee mit der Aufschrift „Sex or Revolution? Why not having both?“ vor die Nase. „Tassen gibt‘s hier nicht, und ja, Kaffee wird hier grundsätzlich schwarz getrunken, wir haben zu viele Grufties als Kunden, die woll‘n wir nicht vergraulen!“ Ich schluckte. Ein Blick auf die Karte sagte mir, dass der Becher lediglich fünfzig Cents kostete, da konnte ich mich nun schlecht beschweren. Der Timemaster brachte mir auch schon den gemischten Snackteller. Ich fragte möglichst freundlich: „Nennen die sich noch Grufties? Ich dachte die heißen jetzt Goths?“ Das war ein schwerer Fehler. Jens explodierte fast: „Goths? Vertell hier nich so nen Blödsinn. Dat sind und bleiben Grufties. So nen modischen Neusprech lassen wir hier nich zu. Und jetzt mach den Kopp zu und trink Kaffee!“

Ich trank also brav den Kaffee, der in der Tat verdammt gut schmeckte, und wartete. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, eine merkwürdige Gestalt trat ein, die sich in einer Art Selbstgespräch selbst zu beschimpfen schien. Er trug ein schillernd grünes Sacko, Jeans, Turnschuhe sowie eine skurril anmutende Hornbrille. Leicht nach vorn übergebeugt lief er zunächst im Eingangsbereich der Kneipe hin und her, dann im Kreis, mit sich selbst im Dialog: „Nee, nee, nee, das darf doch nicht wahr sein! was für ein Idiot bist du eigentlich? Nur Arschlöcher, Ausbeuter, Blutsauger! Alles Wixer! Ich muss damit aufhören“ Dabei schüttelte er ständig seinen Kopf. Der Timemaster hatte in der Zwischenzeit drei frisch gezapfte Pints Guiness an einen bislang leeren Platz der Theke positioniert. Die Gestalt sah kurz auf, erblickte die Biere und steuerte zielstrebig auf die Theke zu, um im Hinsetzen bereits das erste Glas zu leeren.

Ich beugte mich zu Jens vor und flüsterte ungläubig: „Ist das etwa der Jester?“. Jens lächelte amüsiert und zwinkerte: „Jo, das isser. Leibhaftiger geht‘s nich“. Die anderen Gäste schienen sich nicht weiter für diesen Auftritt zu interessieren, offenbar geschah das tatsächlich regelmäßig. Ich betrachtete den Jester genauer, das zweite Glas war schon fast leer. Er bemerkte meinen Blick, musterte mich. „Neu hier?“ baffte er mich an. „Äh, jjaaa“ stammelte ich. Er nickte, leerte das Glas und griff sich das dritte Pint. „Beste Kneipe der Welt. Mein Refugium. Den Irrsinn außerhalb des Jester‘s Door ertrage ich kaum noch, ich brauche immer drei Bier, bevor ich mich beruhigt habe.“ Ich nickte. „Ah, ok, verstehe“ - dabei verstand ich gar nichts. Der Timemaster beugte sich zu mir vor und flüsterte: „Der Jester ist in der Werbebranche, aber eigentlich Sozialist im Herzen. Der hält den inneren Widerspruch nich aus, aber dat wirste schon noch zu hören bekommen.“ Ich bestellte mir einen weiteren Kaffee.

Dann begann der Jester wieder zu reden, halb mit mir, halb mit sich selbst. Er redete und trank in einer unglaublichen Geschwindigkeit, stoßweise schluckte er das Bier herunter. „Ich verkaufe meine Seele, jeden Tag. Ich mache Werbung für Medikamente, Versicherungen, Banken - nenne etwas Böses, ich bewerbe es!“. Er wurde bei seiner Tirade beinahe hysterisch. „Ich lege Ihnen Werbeanzeigen vor, die sie entlarven, enttarnen sollen - und sie finden sie großartig! Das spreche ein junges und aufgeklärtes Publikum an. Nein, nein, selbst die Wahrheit ist zu nichts anderem als Unterhaltung verkommen. Traurig, traurig.“ Er wurde still, schaute in sein Glas, leerte es, der Timemaster war sofort mit einem neuen Glas zur Stelle. Ich fragte ihn direkt, wieso sie ihn denn denn „Jester“ und nicht Narren nannten? Er lächelte: „Eigentlich begann es mit meiner Leidenschaft für Marillion. Die haben auf ihren ersten Plattencovern immer eine Narrenkappe drauf gehabt. Na ja, und im Moment fühle ich mich auch wie ein Hofnarr der Wirtschaft - und die Werbung spricht ja eh englisch.“ Er seufzte. „nee, nee, nee, das ist all das Geld nicht wert. Ich schäme mich dafür. Ich vertrinke den größten Teil meines Geldes hier, als Selbstgeißelung - und weil ich so das letzte bißchen Heimat erhalte“ Er brummte vor sich hin, Jens und der Timemaster schüttelten mit dem Kopf und arbeiteten weiter.

Ich drehte mich um, mittlerweile schwirrte mir der Kopf. Die Kneipe hatte sich gefüllt. Ich fragte Jens, ob es noch Livemusik geben würde. „Jo, gibt es. Jeden Abend. Immer dieselbe.“ Ich schaute ihn etwas verdutzt an: „Dieselbe?“ fragte ich nach. Der Timemaster klärte mich auf: „Wir haben hier die BAND. Was besseres gibt es nich, und was anderes könnten wir uns och nich leisten. Ab und an bringen die mal Freunde mit, aber mehr zum Jammen.“ Aha, dachte ich bei mir. Hier wunderte mich gar nichts mehr. Plötzlich sprang der Jester auf, kletterte auf den Tresen und rief: „Genossen und Genossinnen, die nächste Runde geht auf mich! Seht es als Buße für meine kapitalistischen Sünden..“ Mit gesenktem Kopf stand er da, während alles zur Theke stürmte. Mit erstaunlicher Gelassenheit fertigten Jens und der Timemaster die Freirunde ab. Dann wechselte der Timemaster die Musik, es erklang „Script for a Jester‘s Tear“, wie ich später erfuhr, und prompt sang der Jester, mit Tränen in den Augen. Die anderen Stammgäste sammelten sich um ihn, und stimmten bei der Strophe „I act the role in classic style of a martyr carved with twisted smile; To bleed the lyric for this song to write the rites to right my wrongs; An epitaph to a broken dream to exorcise this silent scream; A scream that's borne from sorrow“ lauthals mit ein. Ein unheimlicher, trauriger und mitfühlender Chorus, der in einem lauten „Hail the Jester“ endete. Alle hoben das Glas und prosteten sich zu.

Der Jester wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stieg von der Theke runter, die anderen Gäste nahmen langsam wieder Platz. Ich fragte den Timemaster, ob das jeden Abend so sei? „Nee, heute geht‘s ihm besonders schlecht. Passiert so ein- bis zweimal die Woche. Da hilft dann nur sein Lied“. Hmm, nach dem Auftritt war ich auf die BAND doch sehr gespannt. Waren die Verrücktheiten noch zu Steigern? Ich nahm mir noch einen Kaffee, und der Jester trank und trank...
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