5
Mai
2011

Jester's Door: "Art"gerecht

Es war wieder einer jener Abende, an denen im Jester's Door wieder alles drunter und drüber ging. Ich hatte mich mit meinem Kaffee zu Lisa gesetzt, einer Philosophiestudentin im 23. Semester, die ihre Magisterarbeit zum Thema "Philosophische Grundlagen der postmodernen Demokratie im Lichte einer kapitalistisch-marktorientierten Medienlandschaft: Herrschen die Medien durch das Volk?" schrieb. Sie recherchierte bereits seit zwei Jahren, und die Tatsache, dass sie jeden Abend im Jester's Door weitere abstruse Anregungen bekam, trug nicht gerade zum Fortschritt des Projekts bei. Ich hatte ihr gerade geraten, einfach mal anzufangen und sich zur Prüfung zu melden, als sich eine Gruppe von ca. 10 Leuten am Tresen versammelte. Sie gingen nach kurzer Begrüßung wild diskutierend von Wand zu Wand und wedelten mit den Armen herum, während Jens und der Timemaster stets und völlig stoisch mit dem Kopf schüttelten. Offenbar wurden irgendwelche Vorschläge zum Umbau oder zur Neudekoration der Kneipe gemacht, und die beiden Kneipiers waren davon gar nicht begeistert.

Ich fragte Lisa, ob sie was mit diesem Auftritt anfangen konnte. "Die drei da vorne sind Künstler, kommen wohl ursprünglich aus diesem Viertel hier. Der eine malt so stilisierte Gemälde, die an den sozialistischen Realismus erinnern. Der andere macht irgendwas mit Graffiti, vielleicht soll das ne Koproduktion werden." Sie machte eine Pause. "Vom dritten weiß ich es nicht genau". Ich nickte. Das würde weder Jens noch dem Timemaster schmecken, wenn verkopfte Künstler ihre Kneipe verunstalteten. Ich nickte Lisa zu, nahm meinen Kaffee, und stellte mich zu der Truppe. Einer der Künstler erklärte in seinem seit Wochen nicht gewechselten Hemd, wie ein vier Meter hohes Porträt eines verfremdeten Moorsoldaten dem Raum eine andere Bedeutung geben würde. Der Timemaster schaute zu Boden, und Jens sagte barsch: "Das klingt ganz toll, wirklich, aber die Leute wollen in eine Kneipe, und nicht ins Moor!"

Ich stellte mich neben den Timemaster. Der guckte mich leicht verzweifelt an und flüsterte mir zu: "Dat hat uns der Jester eingebrockt. Irgendeine Vernissage, und der meint zu denen, das Jester's Door könnte auch mal mehr Kunst vertragen. Is ja nett, aber nun müssen wir sehen, wie wir da wieder rauskommen." Ich grinste. Ja, ja, der Jester. Wohl mal wieder zum Wein statt zum Bier gegriffen bei der Vernissage, dann wurde der immer unberechenbar. Ich schaute in den Nebenraum, wo ein paar Punks dem hektischen Treiben zusahen. Ich hatte eine Idee, zupfte dem Timemaster am Ärmel und nahm ihn und Jens für einen Moment beiseite. Beide überlegten kurz, um dann leicht missmutig zu nicken.

Kurz darauf führten die beiden Wirte den Trupp in den angrenzenden Billardraum, und nach kurzer Diskussion und der unwilligen Zustimmung der Punks kam man überein, an der ziemlich abgearbeiteten Rückwand des Raumes ein Kunstprojekt zu starten. Es sollte eine Art Kunstworkshop mit den Punks stattfinden, unter denen sich auch der eine oder andere Sprayer befand, und sehr zum Leidwesen der drei Künstler bereits um 10 Uhr morgens begann, damit wenigstens ein paar Stunden noch im nüchternen Zustand gearbeitet werden konnte. Alle waren halbwegs zufrieden, auf das Ergebnis war ich jetzt schon gespannt, die BAND begann zu spielen, und am Schachbrett war der ganze Trubel wie immer vorbeigegangen. Ich setzte mich wieder zu Lisa und blieb für diesen Abend beim Kaffee, weil ich mich ausnahmsweise mal nicht lächerlich machen wollte.
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