20
Nov
2010

Zeitungslektüre

Berlin. Regen. Terrorwarnungen. Ich sitze in einem Café in Zentrum, heute Abend werde ich die Stadt wieder verlassen. Fühle mich ausgelaugt. Diese Stadt ist immer im Werden, nie wirklich fertig, nie im Sein. Das schlaucht. Keine Ruhe nirgends. Kaum einmal die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, entspannt, unbeobachtet. Überall fühle ich mich auf dem Prüfstand, nirgends mag ich mich fallen lassen. Wartend auf meine Abfahrt habe ich den Einkaufsbummel sausen lassen, so richtig geeignet ist Berlin dazu ohnehin nicht. Viel Kram, wenig Substanz, und ansonsten alles, was es woanders auch gibt. Nach einigem Umherstreifen habe ich schließlich dieses Café gefunden, fußläufig zur Museumsinsel - könnte ja sein, dass ich mich noch bilden will. Mit Freude wurde meine Bestellung, "Einen großen Kaffee, schwarz", nicht mit einer Litanei an Gegenfragen beantwortet. Mittlerweile habe ich diesen ganz anständigen Kaffee geleert, mich etwas erwärmt, und schaue hinaus in den Regen. Was macht man mit seiner Zeit im Berliner Regen? Richtig. Lesen.

Ich hole mir meinen zweiten Kaffee, nehme mir die Zeitung vor. Die Schlagzeilen beschäftigen sich mit vermeintlichen Terroranschlägen und ergehen sich ansonsten in deutscher Selbstbeweihräucherung. Seitdem Berlin Hauptstadt ist, scheint sich alles nur noch um die eigenen nationalen Befindlichkeiten zu gehen - oder dass, was Politiker und Journalisten im Regierungsviertel dafür halten. Kein Platz für deutsche Selbstkritik, der "Aufschwung" wird gefeiert. Die Armen werden verschwiegen, der nicht existente Mindestlohn wird verschwiegen, das Ausspielen der Angst vor Arbeitslosigkeit - verschwiegen. Stattdessen Terrorangst, unsinniges Entertainment und bunte Statistiken zum sagenhaften deutschen "Wachstum". Wenn das so weiter geht, stößt das deutsche Ego noch durch die Reichstagskuppel. Mit diesem Gedanken lege ich die Zeitung beiseite, schaue erneut aus dem Fenster. Es regnet weiter, so niedergeschlagen habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Draussen scheint es noch dunkler geworden zu sein. Was für ein Land, und es ist auch noch meins.

Ich nehme meine Jacke, gehe hinaus, den Museen, der Vergangenheit entgegen. Für heute habe ich genug von der aktuellen Weltlage, vom jetzigen Berlin. Das Früher kann ich nicht ändern, nur begreifen. Trost finden, wo das Ist nur Verzweiflung weckt.
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