28
Mrz
2011

Nachtschicht

"Nachts um halb zwei, wenn die Dunkelheit Deine Seele befreit", dachte ich bei mir und summte ein Lied vor mich hin. Es war dieses süße Gefühl, allein mit mir am Schreibtisch zu sein. Ich und die Tastatur. Wie sehr die Nacht doch die Welt veränderte: Am Tage die Folter des weißen Blattes, in der Nacht der angenehme Rausch des kreativen Genies. So flossen die Zeilen dahin, etwas Hintergrundmusik, irgendwo in der Nachbarschaft Geschlechtsverkehr, mittellaut, ab und an die Sirenen eines vorbeifahrenden Notarztwagens, sonst war Ruhe. Ich ging auf im Schreiben, Sein und Handeln waren eins. So saß ich da und schrieb, unterbrochen nur von der einen oder anderen Tasse Kaffee. Ein Kapitel später stand ich am Fenster und blickte auf die wenigen Lichter der Stadt, in den Park. Wie inspirierend und beruhigend ist doch alles, was ich nicht sehen kann. Dieses Gefühl der Ruhe, des Friedens dürfte nie vorübergehen. Warum musste es Nacht werden, bevor ich in Ruhe arbeiten konnte? Ich wusste es nicht, genoss den heißen Kaffee und schrieb völlig furchtlos weiter.

Da klingelte das Telefon. Eine Freundin, ich schaute auf die Uhr, es war 2:12 Uhr . Wie so oft hörte ich mir ruhig ihre Probleme an. Sie war mit irgendeinem Bernd im Bett gelandet, sie wollte mehr, er nicht. Sehr überraschend. Das ging mindestens einmal die Woche so, natürlich nicht mit dem gleichen Bernd, es konnte auch mal ein vermeintlicher Dieter sein. Diese Anrufe waren normalerweise schwer zu ertragen, denn ich wäre schon seit einiger Zeit gern ein solcher Bernd gewesen, auch für mehr als eine Nacht. Ich war mir sicher, dass sie das wusste, was doch stark an meinem animalisch-männlichen Ego nagte. Ich stand ihr trotzdem bei, spendete Trost. Was ich so mache. Bei jedem, Tag und Nacht, ich heitere Menschen auf und nahm ihnen ihre Sorgen - und legte sie in meinem Inneren ab. Ich war ein Narr. Aber heute Nacht war es anders. Ihre Sorgen gab ich an die Schatten in den Ecken weiter, ließ sie dort, nahm ihren Dank an und legte auf. Beschwingt lehnte ich am Fensterrahmen, "und ich hab' wieder nich', die Welt gerettet" klang es aus den Boxen. Lächelnd sagte ich zu mir: "Ich auch nicht. Ätsch". Ich war mit mir im Reinen. Bis zum Sonnenaufgang, wenn die Lasten der Welt sich wieder auf meine Schultern senken würden. Das war narrensicher.

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Auszug aus "Narrensache"
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