16
Apr
2011

Der verratene Traum

Traurige Augen sehen in die Kamera, starre Blicke müder Gestalten in einem italienischen Flüchtlingslager. Libyer, Tunesier, Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind oder die erkämpfte Freiheit nutzen wollen, um sich eine Existenz zu schaffen. Während Europäische Außenminister sich in Ägypten als Botschafter einer neuen, freien Gesellschaft feiern lassen, entwürdigen wir all die Menschen, die unsere Versprechungen, unsere Verheißungen ernst nehmen. Italien, Mitglied der G8!, ist plötzlich nicht in der Lage, ein paar tausend Flüchtlinge zu versorgen. Mal ganz abgesehen davon, dass es seit Jahren die auf europäischer Ebene gültigen Standards für die Aufnahme von Flüchtlingen sowie der Asylverfahren missachtet. Der deutsche Innenminister hat dann auch nichts anderes zu tun, als vor einer Überflutung durch nordafrikanische Flüchtlinge zu warnen und will die Grenzkontrollen wieder aufnehmen. Die Regierungen geraten in hysterische Panik, der eigene Wohlstand scheint in Gefahr. Keine Zahl belegt das, das populistische Schüren unbegründeter Ängste ist schon lange an die Stelle von rationalen Debatten getreten. Europa, diese Insel der Glückseligkeit, verspricht viel und hält wenig.

Der Zuschauer dieser traurigen und zugleich beschämenden Veranstaltung fragen sich kopfschüttelnd, warum sich die vermeintlich reichste Region der Welt so billig aus dem Staub macht. Statt humanitäre Hilfe zu leisten, Menschen beim Aufbau ihrer neuen Gesellschaftsordnung, ihrer neuen Existenz zur Seite zu stehen, schicken wir in als erstes Polizeikräfte entgegen, die uns diese Hoffnungsvollen Hilfesuchenden vom Leibe halten. Eine schamlose Politik, die nur auf Neid beruht und letztlich nur der Erhaltung des Wohlstandes weniger dient. So wird davon abgelenkt, dass Banken mit riesigen Steuersummen gerettet, explodierende Managergehälter abgesichert und wachsende Unternehmensgewinne nicht angetastet werden. Auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Niedriglohnsektor, von Sozialleistungsempfangenden, von stagnierenden oder gar sinkenden Reallöhnen wächst der Reichtum weniger gnadenlos an. Und nun kommen die Revolutionen in Nordafrika, und während sich die Vorbilddemokratien in Europa noch fragen, ob Volksherrschaften in Tunesien, Ägypten oder gar in den Öl-Staaten Arabiens wirklich im Interesse der Herrschenden in Europa sind, machen sich ein paar tausend Afrikaner auf den Weg nach Europa. Eine willkommene Gelegenheit für die europäischen Innenminister, Flüchtlinge gegen verarmte Europäer auszuspielen, Härte zu zeigen, mit der Angst vor dem Islam Meinung zu machen. Man muss sich wundern, dass wir vor dieser Politik nicht selbst fliehen - oder sie beenden. Im Gegensatz zu Nordafrika sind dazu in Europa nicht einmal Revolutionen nötig. Wir müssen nicht einmal so mutig sein, wie viele der Menschen in Lampedusa, die so entwürdigt in die Kameras europäischer Fernsehsender blicken, die das Mittelmeer in Nussschalen überwunden und gegen Diktaturen gekämpft haben. Wenn wir weiter nur von einem besseren Europa träumen, werden wir nur weiter enttäuscht aufwachen: "Der Traum ist aus. Aber ich werde alles geben, daß er Wirklichkeit wird."

"Gibt es ein Land auf der Erde,
Wo dieser Traum Wirklichkeit ist?"
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