27
Apr
2011

Geschichte - eine missratene Satire

Geschichte. Ich rede von der SPD. Die SPD, das war mal eine Partei, heute ist sie vor allem Geschichte. Einst war es eine schöne Geschichte, da war diese Partei so etwas wie ein politisches Robin-Hood-Syndrom: Man nahm den Reichen ein bisschen weg, machte das Leben der Armen etwas erträglicher, die einfachen Leute freuten sich diebisch, und die Welt war für einen kurzen Augenblick in Ordnung. Da gab es Helden, mutige Recken, die nannten sich Abgeordnete oder waren Parteifunktionäre, die legten sich mit den Starken an, mit Industriebossen oder Bankiers, die stimmten gegen Ermächtigungsgesetze, ertrugen Verfolgung und Haft. Das ist heute nicht mehr zu fürchten, denn die Sozialdemokraten werden schon lange nicht mehr gefürchtet. Zu unterwürfig sind sie, zu sehr bemühen sie sich, die "Mitte" zu besetzen, dabei liegt ihre Aufgabe nicht links, rechts oder mittig - sie liegt unten. Doch die SPD hat im Wirrwarr neoliberaler Managementvokabeln den Sinn ihrer Existenz vergessen. So wurde sie zu einer Geschichte der Eitelkeiten, der vergessenen Ideale, der orientierungslosen Taktiererei.

Statt eine Politik zu machen, die den Schwachen hilft, die "unten" sind, redeten Sozialdemokraten plötzlich von Chancengerechtigkeit, zementierten die Privilegien der Reichen, förderten private Vorsorgesysteme und verschlechterten die Situation von Arbeitslosen. Man nahm in Kauf, dass Menschen mit niedrigen und Mittleren Einkommen immer weniger Geld haben, während die hohen Einkommen immer weiter anwachsen. Doch die Bodenhaftung ist verloren gegangen, denn wer in dieser Partei versteht sich noch als Vertreter dieser Menschen, wer fühlt sich wirklich mit ihnen verbunden? Materiell geht es Abgeordneten gut, viele kennen soziale Notlagen offenbar nur aus dem Fernsehen. Der Kompass ist verloren gegangen. Die Sarrazin-Affäre ist ein weiterer Beleg dafür. Diese Unperson symbolisiert alles, was in Deutschland und der SPD falsch läuft. Er ist als ehemaliger Berliner Finanzsenator und ehemaliger Bundsbankvorstand Bestandteil der gesellschaftlichen wie parteiinternen Elite. Eine Elite, die losgelöst von den realen Problemen der Menschen - und dazu gehört auch die Basis der SPD - dahinvegetiert. Eine Elite, die die Leistungen und die Arbeit anderer sozialer Schichten nicht mehr respektiert. Wenn es die SPD toleriert, dass ein ehemals führendes Mitglied sich durch im Kern rassistische Äußerungen zum Sprachrohr fremdenfeindlicher Stimmungen macht, diese sogar anheizt, Menschen aufgrund ihrer Herkunft per se als dumm bezeichnet, dann verrät sie alles, wofür die Partei je gestanden hat. Für Solidarität. Für Toleranz. Für Gerechtigkeit. Nein, in dieser Sache hätte es kein taktisches Manöver geben dürfen. Denn im Falschen gibt es kein Richtiges. Das hätte schon die Lektion der Schröder-Jahre für die SPD sein können. Sarrazin zeigt, dass die SPD aus der Geschichte nicht gelernt hat. Sie wird lieber selbst Geschichte. Eine traurige Geschichte. Sollte sie tatsächlich im Verrat an ihren Helden von einst enden? Was wird dann von dieser Geschichte übrig bleiben?

"Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus." Otto Wels, 23.März 1933

Eigentlich sollte dieser Text eine Satire werden, doch beim Schreiben blieb das Lachen auf der Strecke.
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