15
Okt
2010

Herbstsonne

Es ist ein Herbsttag, trügerisch sonnig und empfindlich kalt. Eine Zeitung unter dem Arm gehe ich in ein Straßencafé, bestelle Milchkaffee und friere. Ich friere in letzter Zeit ohnehin häufig, vor allem, wenn ich Zeitung lesen. Der Kellner kommt heraus, bringt mir den Kaffee. Ich greife die Tasse, nehme einen Schluck, spüre die warme Flüssigkeit in meinem Körper hinunterfliessen, die Tasse meine Hände wärmen. Nur meine Seele kann der Kaffee nicht erwärmen.

In der Zeitung findet sich auch nichts Erwärmendes, die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, und die in der Mitte werden weniger und verzichten ängstlich auf das, was ihnen zusteht. Eine Welt aus den Fugen, was Recht werden soll wird gekauft, und keine Form der Ausbeutung scheint mehr ausgeschlossen. Die Sonne des Wirtschaftswachstums scheint über Deutschland, aber sie scheint nur für Wenige. Für die Mehrheit sind ihre Strahlen pure Kälte und wir haben nichts mehr, was wir noch überziehen könnten.

Der Milchkaffee wird langsam leer, und die Zeitung geht zur Neige. Auf der letzten Seite finde ich einen Bericht über nachhaltige Investmentfonds. Das soll die positive Nachricht des Tages sein, doch glaube ich diesen Fondsmanagern gar nichts mehr - und allen anderen noch viel weniger. Unter diesem Bericht findet sich eine kurze Nachricht über neue Staatsbürgschaften für Großbanken. Was da nicht steht: Ich bezahle dafür, der Hartz-IV-Empfänger zahlt dafür, der Kleinverdiener ohne Mindestlohn zahlt dafür. Sonst niemand. Die Ärmsten bluten und die anderen gehen ins Casino. Mir wird schlecht. Ich stehe auf und zahle.

Auf dem Weg durch den Park treffe ich auf einen Obdachlosen, der frierend hinter einer kleinen Mauer sitzt und sich zu wärmen versucht. Ich gebe ihm meine Zeitung und meine Jacke noch dazu. Habe zwar auch nicht soviel, aber Mitleid leiste ich mir trotzdem. Der Obdachlose ist so verdutzt, dass er außer einem „Merci monsieur“ nichts herausbringt. Aber das ist mir schon Wärme genug. Zu hause wartet heißer Kaffee. Stark und schwarz. Und vielleicht auch etwas Wärme für die Seele. In der Sonne dieser Welt ist es einfach zu kalt.
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