Umgezogen
Weiterhin viel Spaß!
Was für ein Tag für die Journalisten: Merkozy springen wieder zu kurz und legen die Scheuklappen nicht ab. Das scheint die Hauptnachricht zu sein, daneben spekulieren die Mainstreammedien noch hübsch über den zukünftigen SPD-Kanzlerkandidaten und werten den Applaus nach Minuten. Die wirklich interessanten Dinge finden nur am Rande statt.
Während Merkels Pläne für die Euro-Rettung alles, nur nicht wegweisend sind (EU-Vertragsänderungen: Merkels Euro-Pläne geraten zum Rohrkrepierer - Deutschland - Politik - Handelsblatt), wird mal wieder an einer größeren Bankenrettung gearbeitet. Die Commerzbank ist nach wie vor nicht stabil, und wie und ob die Bank vollständig verstaatlicht werden muss, steht in den Sternen - oder in den Büchern... vielleicht finden sich ja noch ein paar Milliarden im Keller (Spekulationen um Commerzbank - Deutschland bereitet Bankenrettung vor - Wirtschaft - sueddeutsche.de).
Indes ist klar, wer von dieser Politik der Bankenrettung und der Schuldenrettung durch Einsparungen in den Sozialhaushalten nicht profitiert: Nämlich der Großteil der Bevölkerung. Wenn selbst die OECD zu der Erkenntnis gelangt, dass die fortschreitende soziale Ungleichheit die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt, dann stehen wir von der Occupy-Bewegung bis zum SPD-Parteitagsgenossen wie einsame Mahner in der Landschft dar: Alle nicken, keiner ändert was. (OECD-Studie: Deutschland wird unsozialer | Wirtschaft - Frankfurter Rundschau)
Anders sieht es bei der SPD aus: Sigmar Gabriel hat etwas getan, er hat die Partei vorangebracht - und wurde wiedergewählt. Viele haben ihm das nicht zugetraut, die Medien zeichnen seit Jahren ihr eigenes Bild von ihm (Popbeauftragter) und ergehen sich in Plattitüden. Ohnehin beschränkt sich die politische Berichterstattung in Berlin im wesentlichen auf Intrigen und Personalspekulationen, auf Umfragewerte und Beliebtheitswettbewerbe. Sicher, wenige werden bei Sigmar Gabriel auf die Idee kommen, ein Personenkult könnte sich in der Partei breit machen. Das ist auch gut so, denn zu sehr hat die Schröder-Ära die Partei gelähmt und politische Debatten unmöglich gemacht - und sollte die gemeinsame inhaltliche Auseinandersetzung nicht Kern einer politischen Partei sein? Unbestritten hat Sigmar Gabriel Stärken, im Gegensatz zu vielen anderen kann er Reden halten, er ist streitbar, unbequem - und dabei wird ihm nachgesagt, auch als Minister noch stets Zeit für ein Gespräch mit den Mitarbeitern gehabt zu haben. Was wirklich zählt für die SPD, für die politische Landschaft, ist doch, dass die eigenen Fehler erkannt worden sind. Wer braucht schon eine sozialdemokratische Partei, die arbeitende Menschen ihrer Würde beraubt? Nein, Sigmar Gabriel ist einer der wohl am stärksten unterschätzten Politiker Deutschlands. Er hat die SPD wieder auf Kurs gebracht, unnachgiebig die Parteireform vorangetrieben. Er galt als zu sprunghaft, und doch ist es ihm gelungen, die demoralisierte "alte Tante" wieder aufzurichten. Die Stärke der SPD liegt in der Vergangenheit, das hat auch Helmut Schmidts Auftritt gezeigt. Aber im Heute und im Morgen hat sie ihre Aufgabe - nie hat es einer klar europäisch-denkenden deutschen Sozialdemokratie mehr bedurft als heute. Vom Wege "New Labours" ist sie hoffentlich endgültig abgekommen. Nun gilt es, auch im Interesse der Menschen zu handeln - und wie der Kanzler heißt, der das umsetzt, kann eigentlich egal sein. Aber mich würde es nicht wundern, wenn es wieder ein Unterschätzter sein wird. (SPD-Parteitag in Berlin - Wie alte Zaubersprüche gegen Kleinmut und Verzagtheit wirken - Politik - sueddeutsche.de)
Wer sich heute die Aufmacher der relevanten Mainstreammedien ansieht, wird vor allem auf glückliche Börsenhändler gestossen sein. Nachdem die Zentralbanken den Bankensektor erneut mit frischem Geld versorgt haben, stiegen die Aktienkurse und auch der Euro stoppte seinen Sinkflug. Aber was bedeutet das? Mitnichten endet hier eine Krise, es wird nur kurzfristig das Richtige im Falschen getan. Wenn das Handelsblatt online kommentiert: "Der Schritt ist eine logische Fortsetzung der Politik, ein aufgeblähtes Bankensystem, in dem viel zu hohe Gewinne gemacht und viel zu hohe Gehälter bezahlt wurden, durch Drucken von immer mehr Geld flüssig zu halten. Weil im derzeitigen System jede Bankenpleite ein extrem hohes Ansteckungsrisiko birgt und die Wirtschaft in den Abgrund reißen kann, gibt es dazu kaum eine Alternative." (Kommentar: Das Geldsystem muss grundlegend reformiert werden - Konjunktur - Politik - Handelsblatt) - dann scheint sich doch allgemein die Erkenntnis durchzusetzen, das dieses Finanz- und Wirtschaftssystem am Ende ist.
Über die Konsequenzen wird noch in den Kategorien kosmetischer Eingriffe diskutiert, dabei ist offensichtlich, dass es sich nicht um eine Krise des Finanzsektors oder der vermeintlichen Schuldenstaaten handelt. Das System verstärkter Ungleichheit, der Wachstumsideologie, des freien Spiels der Kräfte gerät ins Wanken. Zu Recht. Denn es steht im Wiederspruch zur Demokratie, zur Freiheit des Einzelnen, - und es verhöhnt jedes gesellschaftliche Bemühen um Gerechtigkeit. Das Grundgesetz verlangt nicht umsonst, Eigentum in Verantwortung zu nehmen. Wer genau hinschaut findet auch das Wort Sozialisierung, nicht unter ferner liefen, sondern im Grundwertekatalog der Verfassung. Doch welche Verantwortung übernimmt Kapital, das durch Spekulation Hungersnöte verursacht? Pensionskassen vernichtet? Produktive Firmen zerschlägt? Familien aus ihren Häusern vertreibt? - und sich bei Fehlspekulationen von den Steuergeldern der Menschen retten läßt, mit deren Existenz täglich aufs neue gespielt wird?
Hinter dem Kapital, hinter "den Märkten" stehen Menschen, ganz konkret, die von dem Elend anderer profitieren. Sie reden von "Leistung", von "Chancengerechtigkeit" und quälen uns mit ihrer Litanei, wonach "jeder seines eigenen Glückes Schmied" sei. Dabei sollten genau diese Leute lieber schweigen, wo sie ihr Geld damit verdienen, das Glück anderer zu zerstören. Wird diesem Irrsinn endlich ein Ende gesetzt, werden auch ihre Taten auf sie zurückfallen. Früher oder später.
Spiegelartikel: Amazon beschäftigt massenhaft Arbeitslose ohne Vergütung
Wieder einmal eine Meldung aus der Reihe: So funktioniert der Kapitalismus. Während Apple in China produzieren läßt und dabei kein Interesse an vernünftigen Arbeitsbedingungen vor Ort zu haben scheint, Discounter in Deutschland ihre Mitarbeiter durch Überwachung glänzen und auch nicht sonderlich großzügig entlöhnen, hören wir nun auch von dem erfolgreichen Unternehmen Amazon, dass absurde Gesetzeslücken sofort ausgenutzt werden.
Wann endlich setzt sich der Grundsatz durch, dass Menschen für ihre Arbeit auch vernünftig bezahlt werden müssen? Zusehends stellt sich mir als Verbraucher doch die Frage, wo man überhaupt noch guten Gewissens einkaufen kann. Analog zum "Was kann man denn überhaupt noch essen?" sorgt die Gier der Unternehmen für eine Vertrauenskrise bei Verbrauchern und Mitarbeitern. Nicht nur infolge der Bankenkrise zerfrißt sich das System selbst. Es wäre dabei zu billig, allein nach politischer Verantwortlichkeit zu schreien. Eine Gesellschaft, in der maßgebliche Akteure jede Möglichkeit zur Gewinnmaximierung auf Kosten Schwächerer ausnutzen, kann keinen Bestand haben